Der österreichische Grünen-Nationalrat Georg Willi (56) weilt heute auf Einladung der Alpen-Initiative in der Schweiz. Er ist seit Jahren einer der wichtigsten Aktivisten gegen den Güterverkehr in Tirol und sitzt im Verkehrsausschusses des österreichischen Parlaments. Im BLICK-Interview warnt er die Schweizer Stimmbevölkerung vor einem Ja zur zweiten Gotthardröhre am 28. Februar.
Herr Willi, Sie unterstützen die Gegner einer zweiten Gotthard-Strassenröhre. Weshalb der Warnruf aus Österreich?
Georg Willi: Die Schweiz ist mit ihrer Verlagerungspolitik ein Vorbild für ganz Europa und insbesondere für Österreich. Die zweite Gotthard-Strassenröhre ist das Signal der Schweiz an Europa: «Wir bauen die Strasse aus! Fahrt durch unser Land!» Das widerspricht der bisherigen bahnfreundlichen Politik der Schweiz. Die Erfahrungen in Österreich zeigen deutlich: Die zweite Röhre würde zu mehr Transit-Verkehr durch die Schweiz führen. Alles andere halte ich für realitätsfremd.
Sie sprechen die Brenner-Route an. Wie sind den die dortigen Erfahrungen?
Der Brenner ist vierspurig ausgebaut. Darum fahren am Brenner heute auch doppelt so viele Transit-LKW wie durch die ganze Schweiz. Zwei Millionen Lastwagen jedes Jahr. Alle unsere Bemühungen, den Verkehr zu verlagern, sind letztlich am Widerstand der übrigen EU-Staaten gescheitert. Ich möchte der Schweiz wirklich nicht raten, sich dieser Gefahr auszusetzen und die Lebensqualität entlang der Transitachsen dem Lastwagenverkehr zu opfern. Die Schweiz würde sich durch die zweite Röhre erpressbar machen.
Erpressbar? Im neuen Gesetz ist klar festgeschrieben, dass die Röhren jeweils nur einspurig befahrbar bleiben. Auch die EU hat zugesagt, dass sie das respektieren werde. Weshalb sollte das also ein Problem sein?
Im Gesetz war auch vorgeschrieben, dass zwei Jahre nach Eröffnung des Gotthard-Basistunnels nur noch 650'000 Transitfahrten auf der Strasse erlaubt sein sollen. Hats was genützt? Nein! Der Alpenschutzartikel wird ja schon heute nicht eingehalten. In Österreich versuchen wir seit Jahren, den Lastwagenverkehr auf die Schiene zu verlagern. Alle unsere Bemühungen sind an den Interventionen der EU gescheitert.
Weshalb?
Unsere Nachbarländer im Norden und im Süden haben ein riesiges wirtschaftliches Interesse an den Strassenkorridoren über die Alpen – das ist am Gotthard nicht anders wie am Brenner. Man darf sich sicher nicht die Hoffnungen machen, dass ein Brief einer EU-Kommissarin, die vielleicht noch drei Jahre im Amt ist, in späteren Verhandlungen noch irgendetwas wert ist. So realistisch muss man glaube ich schon sein.
Wobei, als Österreicher müssen Sie auf einen vierspurigen Gotthard hoffen. Ein Teil des Brenner-Verkehrs würde dann über die kürzere Gotthard-Route fahren und so Österreich entlasten.
Auf den ersten Blick ja. Ein Drittel der Lastwagen, die heute über den Brenner fahren, hätten eigentlich einen kürzeren Weg über den Gotthard. Mit einer zweiten Röhre würde dieser Verkehr wahrscheinlich durch die Schweiz fahren und uns etwas entlasten. Aber eine zweite Röhre wäre ein falsches Zeichen: Sowohl Österreich als auch die Schweiz investieren massiv in den Bahnausbau und wollen Güter verlagern. Die Schweizer können mit dem neuen Gotthard-Basistunnel zeigen, dass die Verlagerung wirklich möglich ist. Das wäre ein starkes Zeichen! Wenn aber stattdessen für Milliarden eine zusätzliche Strassenröhre gebaut würde, sehe ich die Bemühungen zur Verlagerung in der Schweiz und auch in Österreich in Gefahr.
Befürchten Sie nicht, dass Ihr Auftritt in der Schweiz kontraproduktiv sein könnte? Die Schweizer sind ja nicht gerade bekannt dafür, dass sie eine Einmischung von aussen lieben.
Nein, überhaupt nicht. Ich spreche ja nur über unsere Erfahrungen mit gut ausgebauten vierspurigen Autobahnen, die den Schwerverkehr geradezu anziehen. Wir sitzen, was den Transitverkehr betrifft, im gleichen Boot. Wie gesagt: Die Lastwagen, die heute noch über den Brenner fahren, könnten genauso gut auch die Gotthardroute nehmen. Die Schweiz ist in der Verlagerungspolitik unser grosses Vorbild. Am Brenner fahren an jedem Werktag 6660 Lastwagen. Ich kann nur jeden Schweizer einladen, sich die Situation bei uns anzuschauen und rate, sich dieser Situation nicht auszusetzen. Das Schweizer Stimmvolk soll dann aber in der Abstimmung selbständig und souverän entscheiden, welcher Weg in der Verkehrspolitik genommen werden soll.