BLICK: Warum ist das Schweizer Modell der Berufsbildung im Ausland so gefragt?
Rudolf Strahm: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einerseits ist da die grassierende Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern – ein enormer politischer Druck für die betroffenen Staaten. Zudem befinden sich viele Länder in einer Akademisierungsfalle. Sie bilden sehr viele Uni-Abgänger aus, die dann aber zu wenig das Handwerk beherrschen. Und ein dritter Grund ist, dass angesichts der technologischen Entwicklung ein Mangel an hochqualifizierten Facharbeitern besteht. Das ist zum Beispiel in den USA der Fall.
Zwischen den USA und der Schweiz findet deshalb auch ein reger Austausch statt. Welche anderen Staaten zeigen Interesse am Schweizer Modell?
Einer der ganz grossen Interessenten ist derzeit China. Als ich dort zu Besuch war, haben alle über das Thema Berufsbildung gesprochen. Interessiert sind zudem Schwellenländer wie Indien, Brasilien, Südkorea und Saudi-Arabien.
Warum orientieren sich die Länder ausgerechnet am Schweizer System? Es gäbe auch andere Vorbilder – beispielsweise Deutschland oder Österreich.
Das haben wir Johann Schneider-Ammann zu verdanken. Erst dank ihm wurde aus der Schweizer Berufslehre ein wahrer Exportschlager. Wo immer er zu Besuch ist, spricht er die Schweizer Berufsbildung an.
Was bringt das Ganze der Schweiz?
Primär einen Prestigegewinn. Vielleicht kann man solche Kooperationen im Berufsbildungsbereich zudem als eine Art immaterielles Verhandlungspfand betrachten, zum Beispiel bei Freihandelsabkommen oder Migrationspartnerschaften, die ja vor allem der Schweiz etwas nützen.
Im Ausland ist die Berufslehre gefragt – anders sieht es in der Schweiz selbst aus: Die Maturitätsquote steigt seit Jahren. Ist das Schweizer System in der Schweiz selbst in Gefahr?
Durchaus. Es herrscht ein unheilvoller Drang in Richtung Akademisierung. Der Bund muss deshalb nicht nur im Ausland, sondern auch im Inland Anstrengungen zur Förderung der Berufslehre machen und die Weiterbildungen und Karrierechancen aufzeigen.