Paelvi Pulli, Chefin Sicherheitspolitik VBS aeussert sich an einer Medienkonferenz zum Programm Air2030, das die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge und eines neuen Systems zur bodengestuetzten Luftverteidigung beinhaltet, am Donnerstag, 2. Mai 2019, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)

Oberste Sicherheitsberaterin rechnet vor, wie viele Kampfjets es braucht
«Man sollte die Schweiz nicht leichtfertig angreifen»

Für den Kriegsfall reichen 40 Kampfjets nicht aus. Die Schweiz bleibe in Krisen auf die Hilfe ihrer Nachbarn angewiesen, sagt Pälvi Pulli. Als Chefin Sicherheitspolitik bestimmt sie die Ausrichtung der Schweizer Armee mit. Die Flotte wäre aber zumindest ein Warnsignal.
Publiziert: 07.09.2020 um 00:28 Uhr
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Aktualisiert: 27.09.2020 um 21:45 Uhr
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Mit 30 bis 40 Kampfjets würde ein Signal ans Ausland gesendet: Greift die Schweiz nicht leichtfertig an, sagt die Chefin Sicherheitspolitik, Pälvi Pulli.
Foto: Keystone
Daniel Ballmer

Terror, Cyberangriffe, bewaffnete Konflikte: Welche Gefahren drohen der Schweiz? Pälvi Pulli (49) muss es herausfinden. Die gebürtige Finnin ist als Chefin Sicherheitspolitik im Verteidigungsdepartement (VBS) eine der wichtigsten Beraterinnen von CVP-Bundesrätin Viola Amherd (58) und massgeblich verantwortlich für die langfristige Ausrichtung der Armee. Jedes grössere Militärprojekt hat sie zu beurteilen. Dazu gehört auch der Kampfjetkauf, über den die Schweiz am 27. September abstimmt.

BLICK: Frau Pulli, Hand aufs Herz: Die Vorlage zum Kauf neuer Kampfflugzeuge ist eine Verlegenheitslösung.
Pälvi Pulli: Ganz und gar nicht. Wir sind überzeugt, dass wir damit die richtige Lösung haben für die Sicherheitsfragen, die sich stellen.

Für den Luftpolizeidienst reichen gemäss Bundesrat acht Flugzeuge, in einem kriegerischen Konflikt bräuchte die Schweiz rund 70 Stück. Was also will die Schweiz mit 30 bis 40 Jets?
Acht Flugzeuge brauchen wir für einen bestimmten Luftpolizeieinsatz, konkret für das WEF in Davos. Dieser planbare Einsatz ist aber nicht ausschlaggebend für die Flottengrösse.

Sondern?
Bestimmend sind Krisensituationen von erhöhter Spannung. Dann ist es die Aufgabe der Luftwaffe zu verhindern, dass jemand unseren Luftraum verletzt. Das kann absolut entscheidend sein, um die Schweiz aus einem bewaffneten Konflikt herauszuhalten. Hat die Flugzeugflotte eine gewisse Grösse, senden Sie ans Ausland ein Signal: Man sollte die Schweiz nicht leichtfertig angreifen. Sie ist bereit, sich zu verteidigen.

Und dafür reichen 30 bis 40 Flugzeuge?
Ja. Wir rechnen damit, dass es permanent vier Flugzeuge in der Luft braucht, und zwar mindestens vier Wochen lang. Mit Reserven sind dazu 16 Flieger nötig. Rechnet man aber noch Wartungen – die bei intensiver Nutzung häufiger sind –, Reparaturen und Ausbildung hinzu, braucht es über 30 Jets. So kann die Lufthoheit eine gewisse Zeit lang gewahrt und die Möglichkeit geschaffen werden, zwischenzeitlich allenfalls nach diplomatischen Lösungen zu suchen.

Das bedeutet gleichzeitig, dass die Schweiz für einen direkten Angriff noch immer nicht gerüstet wäre. Im Interview mit BLICK hat Luftwaffenchef Bernhard Müller deutlich gemacht, dass die Armee eigentlich mehr Flugzeuge brauchen würde.
Die angestrebte Flottengrösse ist nicht auf einen übermächtigen Gegner ausgelegt. Um eine lang andauernde Luftverteidigung aufrechterhalten zu können, bräuchten wir rund 70 Flugzeuge. Aber das ist politisch nicht realistisch. Die Kosten wären viel zu hoch. Kommt hinzu: Bei einem bewaffneten Angriff auf die Schweiz wären voraussichtlich zuvor bereits Nachbarstaaten betroffen. Wir stünden also kaum allein da. Die Schweiz wäre auch als neutraler Staat in der Lage, in der Verteidigung gemeinsam vorzugehen. Mit 30 bis 40 Flugzeugen könnte sie da einen wichtigen Beitrag leisten.

Einen Solidarbeitrag?
Ganz genau, aber auch einen substanziellen.

Der Liebe wegen in der Schweiz

Die gebürtige Finnin kam erst mit 20 Jahren in die Schweiz. Pälvi Pulli (49) wollte hier Deutsch lernen und dann in der Heimat studieren. Sie ist geblieben – der Liebe wegen. Vor 20 Jahren startete sie ihre Karriere beim Bund, arbeitete für das Justiz- und das Verteidigungsdepartement. Heute ist sie eine der wichtigsten Beraterinnen von VBS-Chefin Viola Amherd (58).

Pälvi Pulli ist eine der wichtigsten Sicherheitsberaterinnen im Verteidigungsdepartement.

Die gebürtige Finnin kam erst mit 20 Jahren in die Schweiz. Pälvi Pulli (49) wollte hier Deutsch lernen und dann in der Heimat studieren. Sie ist geblieben – der Liebe wegen. Vor 20 Jahren startete sie ihre Karriere beim Bund, arbeitete für das Justiz- und das Verteidigungsdepartement. Heute ist sie eine der wichtigsten Beraterinnen von VBS-Chefin Viola Amherd (58).

Das VBS wirbt damit, die Schweiz wolle ihren Luftraum möglichst unabhängig verteidigen. Vor diesem Hintergrund wirkt das doch etwas schöngefärbt.
Das Ziel ist, die Schweiz aus bewaffneten Konflikten herauszuhalten. Und wenn das nicht gelingt, ist es unser Job, mit einer ersten Verteidigungsleistung dem Bundesrat und dem Parlament Handlungsspielraum zu verschaffen, damit diese eine politische Lösung finden können. Gleichzeitig finden schon heute Kooperationen mit anderen Staaten statt. Es geht dabei um den Austausch von Luftlagedaten oder um die Zusammenarbeit im Luftpolizeidienst, wenn zum Beispiel ein Flugzeug über die Grenze begleitet werden muss. Da gehen wir als neutraler Staat an die Grenzen des Möglichen.

Ist es denn naiv zu glauben, dass die Schweiz mitten in Europa und umgeben von Nato-Staaten vor Angriffen aus der Luft ziemlich sicher ist?
Die Schweiz ist in einer günstigen geografischen Lage, das ist offensichtlich. Uns ist klar, dass die Wahrscheinlichkeit eines direkten Angriffs auf die Schweiz selbst bei einer verschlechterten Bedrohungslage heute nicht sehr hoch ist. Die Schweiz ist aber nicht in einer militärischen Allianz, im Gegensatz zu den meisten Nachbarstaaten. Sie ist ein souveräner Staat und will auch in der Luft ihre Verteidigung sicherstellen können. Wie gesagt, wenn sie tatsächlich angegriffen würde, wären Nachbarstaaten wohl ebenfalls betroffen. Dann dürfte sich die Schweiz als neutraler Staat zusammen mit ihnen verteidigen, falls nötig.

Ist ein Angriff mit Kampfflugzeugen überhaupt noch realistisch? Sind Raketen oder Marschflugkörper nicht eine grössere Bedrohung?
Eine Kombination von Kampfflugzeugen und einer bodengestützten Luftverteidigung ist die beste Lösung. Daher wollen wir sie auch gemeinsam beschaffen, auch wenn wir am 27. September nur über die Flugzeuge abstimmen. Die bodengestützte Luftverteidigung soll gerade auch die Möglichkeit bieten, Marschflugkörper und jegliche Arten von Geschossen abzuwehren.

Und Drohnen? Immer wieder ist zu hören, dass sie Kampfjets teilweise sogar überlegen sein sollen. Für das VBS scheinen sie aber keine Option zu sein.
Vielleicht werden Drohnen in Zukunft zu einem Thema. Aber heute und in absehbarer Zeit gibt es auf dem Markt keine Produkte, die Kampfflugzeuge oder bodengestützte Luftabwehr ersetzen könnten. Drohnen dienen vor allem dazu, Gebiete zu überwachen oder Ziele am Boden zu bekämpfen. Sie werden nicht zur Verteidigung verwendet. Sie haben schon nur für den Luftpolizeidienst gar nicht die nötige Steigleistung oder Geschwindigkeit.

Gleichzeitig aber geben Experten die technische Abhängigkeit beim Kauf von Jets zu bedenken. Gerade die USA sollen ihre Flugzeuge sogar grounden können. Welche Garantien hat die Schweiz, dass US-Jets nicht fernzusteuern sind?
Da möchte ich mal in aller Deutlichkeit betonen: Für solche Bedenken gibt es keinerlei Grundlage. Unsere Experten haben selbstverständlich solche Aspekte von Anfang an geprüft. Eine Fernsteuerung ist bei den von uns evaluierten Systemen technisch gar nicht möglich. Tatsache ist, dass bei solch komplexen Systemen immer gewisse Abhängigkeiten bestehen bei der logistischen Unterstützung, bei Ersatzteilen oder der Wartung. Das lässt sich nicht vermeiden. Dass die USA aber unsere Jets grounden könnten, ist völliger Unsinn!

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BLICK Abstimmung-Kampf:«Es braucht schwere Kampfjets für die täglichen Dienste»
Neue Kampfjets – Darum geht's am 27. September

Bundesrat und Parlament wollen ab 2025 für sechs Milliarden Franken neue Kampfjets beschaffen. Diese sollen die bestehende Flotte aus F/A-18- und Tiger-Jets ablösen. Doch dagegen haben die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), die SP und die Grünen das Referendum ergriffen. Abgestimmt wird am 27. September.

Die Gegner argumentieren vorab mit zu hohen Kosten. Zudem sei die Schweizer Luftwaffe im internationalen Vergleich auch nach der Ausmusterung der Tiger-Jets gut gerüstet. Zur Erfüllung des Luftpolizei-Auftrags genügten die vorhandenen F/A-18. Diese seien erst kürzlich auf den neusten Stand der Technik gebracht worden.

Aus Sicht der Befürworter – FDP, SVP, CVP, BDP, GLP und EVP – ist ein Ersatz hingegen unbedingt nötig. Sie argumentieren zudem damit, dass die Flugzeuge ausschliesslich aus dem normalen Armeebudget finanziert werden sollen. Welcher Flugzeugtyp beschafft werden soll, wird der Bundesrat erst nächstes Jahr entscheiden.

Das Verteidigungsdepartement (VBS) wollte schon einmal neue Jets kaufen, bekam aber eine Abfuhr: 2014 lehnten über 53 Prozent der Schweizer Stimmbürger den Gripen ab. Nun startet das VBS einen neuen Versuch. Neben den sechs Milliarden für neue Jets will es für weitere zwei Milliarden eine bodengestützte Luftverteidigung (Bodluv) kaufen.


Bundesrat und Parlament wollen die in die Jahre gekommene Schweizer Flotte durch neue Kampfflugzeuge ersetzen.
Keystone

Bundesrat und Parlament wollen ab 2025 für sechs Milliarden Franken neue Kampfjets beschaffen. Diese sollen die bestehende Flotte aus F/A-18- und Tiger-Jets ablösen. Doch dagegen haben die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), die SP und die Grünen das Referendum ergriffen. Abgestimmt wird am 27. September.

Die Gegner argumentieren vorab mit zu hohen Kosten. Zudem sei die Schweizer Luftwaffe im internationalen Vergleich auch nach der Ausmusterung der Tiger-Jets gut gerüstet. Zur Erfüllung des Luftpolizei-Auftrags genügten die vorhandenen F/A-18. Diese seien erst kürzlich auf den neusten Stand der Technik gebracht worden.

Aus Sicht der Befürworter – FDP, SVP, CVP, BDP, GLP und EVP – ist ein Ersatz hingegen unbedingt nötig. Sie argumentieren zudem damit, dass die Flugzeuge ausschliesslich aus dem normalen Armeebudget finanziert werden sollen. Welcher Flugzeugtyp beschafft werden soll, wird der Bundesrat erst nächstes Jahr entscheiden.

Das Verteidigungsdepartement (VBS) wollte schon einmal neue Jets kaufen, bekam aber eine Abfuhr: 2014 lehnten über 53 Prozent der Schweizer Stimmbürger den Gripen ab. Nun startet das VBS einen neuen Versuch. Neben den sechs Milliarden für neue Jets will es für weitere zwei Milliarden eine bodengestützte Luftverteidigung (Bodluv) kaufen.


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Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.

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