Ober-Linke Sahra Wagenknecht in Zürich
«Bedingungsloses Grundeinkommen nicht die Lösung»

Sie zitiert nicht Marx, nicht Lenin, sondern Joseph Schumpeter, der statt managen mehr Unternehmertum forderte.
Publiziert: 23.05.2016 um 21:52 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 20:59 Uhr
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Sahra Wagenknecht.
Foto: KEYSTONE/LAIF/Martin Lengemann
René Lüchinger

Die Ober-Linke kommt im grauen Deuxpièces. Keine Signalfarbe soll im kapitalistischen Zürich von ihren Botschaften ablenken. Das Gesicht: nahezu ungeschminkt. Die Sprache: unaufgeregt, kaum Höhen oder Tiefen. So sitzt Sahra Wagenknecht im Lake Side am Zürichhorn, blickt auf den See, schlägt die Beine übereinander und harrt der Fragen, die da kommen mögen.

Bedingungsloses Grundeinkommen für alle? «Das ist nicht die Lösung. Ziel muss sein, dass jeder Mensch sich so qualifiziert, dass er mit eigener Arbeit sein Einkommen sichern kann. Es gibt ein Recht auf Arbeit.» Als gelte es, ein orientierungslos gewordenes Kind in den Schoss der Familie zurückzuführen. Mit so etwas hat Wagenknecht als Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke und Oppositionsführerin im Deutschen Bundestag Erfahrung.

Politisch Verwirrte sind in ihren Augen: die SPD, seit Schröders Agenda 2010 «eine neoliberale Partei», welche Renten für alle und Steuersätze für Reiche gekürzt habe. Dann Angela Merkel und ihre CDU, die in der Flüchtlingsfrage keinen Plan habe und mit dem türkischen Präsidenten Erdogan paktiere, der wiederum mit islamis­tischen Terrorbanden verbandelt sei. Schliesslich die FDP, «nur noch ein Trauerspiel», und die AfD, «neo­liberal wie all die anderen, versetzt mit einem Schuss Rassismus». So gesehen ist Die Linke für die Linke Sahra Wagenknecht ziemlich allein zu Haus in deutschen Landen.

«Alle wollen nur den Status quo verwalten», sagt sie mit der Emotionslosigkeit der Profi-Analytikerin. Weil sie sich unter all den Ahnungslosen Gehör verschaffen muss, hat Wagenknecht wieder ein Buch geschrieben, ihr sechzehntes: «Reichtum ohne Gier – Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten», derzeit auf Platz zehn der «Spiegel»-Bestsellerliste. Immerhin. Platz zwei belegt der Provokateur Thilo Sarrazin, Platz vier die kritische Edition von Hitlers «Mein Kampf».

Später an diesem Tag wird Wagenknecht vor dem Efficiency Club in Zürich – der sich auch «Club der Wirtschaft» nennt und bei dem schon Superkapitalisten wie Josef Ackermann, Christoph Blocher oder Martin Ebner aufgetreten sind – die Rettung vom Kapitalismus propagieren.

Die «Rosa-Luxemburg-Kopie», wie das Nachrichtenmagazin «Facts» sie einst nannte, irritiert die Klassenfeinde sofort mit der rhetorischen Frage: «Wieso vor dem Kapitalismus retten?» Und ruft: «Der ist doch super, meinen viele!»

Selbst dann folgen keine umstürzlerischen Phrasen, wie die rote Rosa sie vor 100 Jahren von sich gab. Die rote Sahra will mehr Markt. Mehr Wettbewerb. Mehr Innovation. Mehr Nationalstaat und weniger «Brüsseler Lobbykratie».

Die in der DDR aufgewachsene Ökonomin zitiert weder Marx noch Lenin, nicht einmal John Maynard Keynes, Lieblings-Volkswirtschaftler der Linken, der staatliche Konjunkturprogramme in der Krise forderte. Sie beruft sich auf den Österreicher Joseph Schumpeter, der von der «schöpferischen Zerstörung» im Kapitalismus schrieb und dem Manager den schöpfenden Unternehmer entgegensetzte. «Ich würde mit Schumpeter sagen», bekennt Wagenknecht: «Ja, wir brauchen mehr Unternehmer und mehr Chancen, Unternehmer zu werden.» Dann aber fällt der böse Satz doch noch: «Aber wir brauchen keine Kapitalisten.»

Das sind – frei nach Wagenknecht – all jene, die ohne Arbeit vom Vermögen ihrer Vorfahren leben. Die in Firmen nur Anlageobjekte sehen. Manager, die sich der Renditesucht ihrer Kapitalgeber beugen. Multis, die gierig nach dem Monopol streben.

Es gibt also zu tun. Wagenknechts schöne neue Wirtschaftswelt ist nicht Kapitalismus, nicht Planwirtschaft. Sondern eine soziale Marktwirtschaft, die nicht mehr viel gemein hat mit jener, die ältere Deutsche noch mit dem Nachkriegskanzler Ludwig Erhard in Verbindung bringen – und die damals gedacht war als dritter Weg zwischen ungezügelter US-Marktwirtschaft und staatlicher Wirtschaftslenkung wie in UdSSR und DDR.
Sie aber träumt von Unternehmen im Stiftungsbesitz, die – da nicht unter Ausschüttungszwang – hohe Eigenkapitalquoten erwirtschaften und das Bare wieder in die Firma investieren können. Und sie träumt von staatlichem Risikokapital für innovative Unternehmensgründer.

So bahnt sie dem sozialistischen Gedankengut doch noch eine Schneise: Stiftungen setzen die Auflösung privater Eigentumsrechte voraus; der Staat wird Jungunternehmern zur geldgebenden Bank.

Einen Wesensverwandten fand Wagenknecht im äussersten Westen der alten Bundesrepublik, im Saarland. «Eine sehr grosse politische Übereinstimmung» habe sie mit Oskar Lafon­taine, Ex-Spitzenpolitiker der SPD, der ein halbes Jahr nach dem Wahlsieg 1998 die Partei verliess. Heute sind beide Mitglied der Linken, verheiratet und leben an der Saar unter einem Dach.

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