Nur noch Fachärzte sollen Fürsorgerische Unterbringungen verordnen können
Zu viele landen unfreiwillig in der Psychiatrie

Die Zahl der Fürsorgerischen Unterbringungen nimmt in der Schweiz zu. Sie würden teils zu leichtfertig angeordnet, finden Gesundheitspolitiker und Mediziner im Nationalrat. Sie unterstützen eine Motion, die verlangt, dass künftig nur noch Fach- und Amtsärzte die Unterbringungen anordnen können.
Publiziert: 15.06.2018 um 16:49 Uhr
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Aktualisiert: 04.11.2018 um 11:51 Uhr
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SVP-Nationalrätin Yvette Estermann stört sich an den wachsenden Zahlen bei der Fürsorgerischen Unterbringung. Sie möchte, dass künftig in der ganzen Schweiz nur noch Fachärzte oder Amtsärzte diese anordnen können.
Foto: Keystone
Andrea Willimann

In der Schweiz wird pro Jahr rund 15'000 Menschen mit einer Fürsorgerischen Unterbringung (FU) die Freiheit entzogen. Sie sind  psychisch schwer erkrankt, geistig behindert oder verwahrlost und könnten sich oder andere Menschen gefährden.

Eine FU – meist verbunden mit der Einweisung in eine  psychiatrische Klinik – ist von einem Arzt schnell verhängt: «Ein lauter Mann im Tram, stinkend und alkoholisiert, verstört die Leute. Schnell ist er durch einen Notarzt seiner persönlichen Freiheit beraubt, und die Verantwortung wird auf die Klinik oder Richter abgeschoben», schildert der Zürcher SP-Nationalrat und Mediziner Angelo Barrile (41) einen der vielen Fälle. «Für die betroffenen Menschen ist das äusserst belastend.» 

Fallzahlen steigen

Barrile ist Hausarzt mit langjähriger Erfahrung auf psychiatrischen Abteilungen. Er unterstützt SVP-Nationalrätin und Medizinerin Yvette Estermann (51) mit ihrer Motion, die mehr Vorsicht bei Fürsorgerischen Unterbringungen verlangt. «Diese haben seit Inkrafttreten des Erwachsenenschutzgesetzes 2013 zugenommen – unter anderem, weil in mehreren Kantonen alle praktizierenden Ärzte FU aussprechen können und nicht nur Psychiater oder Amtsärzte», so Estermann.

SP-Nationalrat Angelo Barrile findet es auch gerechtfertigt, dass man den Ärztekreis nochmals anschaut, der eine Fürsorgerische Unterbringung anordnen kann.
Foto: Patrick Luethy/EQ Images)

Fachleute bestätigen das Wachstum, sind aber mit Prozentzahlen vorsichtig. Erstens, weil früher nicht alle FU richtig erfasst wurden. Zweitens, weil bis heute die Unterbringungen, die erst auf einer Pflegestation getroffen werden, nicht mitgezählt werden.

Auffällig ist laut eines aktuellen Bulletins des «Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums», dass es besonders viele FU in städtischen Gebieten gibt, wo mehr Randständige leben und mehr Ärzte praktizieren. Mehr als ein Viertel der FU wurde zudem nach einer Woche beendet: Ein Indiz, dass die Fälle nicht so akut gefährlich waren wie vermutet.

Ärzte mit Fachausweis oder Amtsärzte sollen FU verordnen

Yvette Estermann nennt in ihrem Vorstoss Luzerner Zahlen. Diese haben von 486 im Jahr 2013 auf 640 im vergangenen Jahr zugenommen. «Der Trend ist unbestritten», sagt Estermann und verlangt, dass die FU wieder zur letztmöglichen Massnahme wird, zur «ultima ratio». Das Zivilgesetzbuch sei so zu ändern, dass nur noch ein Arzt mit Fachausweis in Psychiatrie oder ein Amtsarzt eine FU aussprechen dürfe. 

Bei der Beratung des geltenden Gesetzes 2013 war diese Vorgabe schon einmal vorgesehen. Der Entwurf des Bundesrats sah vor, dass neben der Erwachsenenschutzbehörde auch «geeignete Ärzte» eine Unterbringung anordnen können. Der Ständerat hatte dann aber den Zusatz «geeignet» gestrichen. Nun können die Kantone selber bestimmen, ob sie den Ärztekreis einschränken.

Motion ist breit gestützt

«Ich finde es gerechtfertigt, das noch einmal genau anzuschauen. Es geht zwar um Ausnahmen, aber es kommt leider immer wieder vor, dass Ärzte mit zu wenig Erfahrung FU aussprechen», so Barrile.

Estermann glaubt, auch auf bürgerlicher Seite mit ihrer Motion Interesse zu wecken: «Eine FU richtet sich gegen eines der wichtigsten Grundrechte dieses Landes, nämlich auf das Recht auf Leben und persönliche Freiheit.» Die SVP-Fraktionsleitung jedenfalls hat sie hinter sich. Mitunterschrieben haben die Motion zudem die Gesundheitspolitiker Ruth Humbel (60, CVP), Thomas Weibel (63, Grünliberale) sowie Pierre-Alain Fridez (60, SP). 

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