SonntagsBLICK: Herr Blancho, Sie haben einen Waffenerwerbsschein beantragt, das wurde abgelehnt. Warum brauchen Sie eine Waffe? Werden Sie bedroht?
Nicolas Blancho: Ja, per Mail, per Brief. Und man hat mir an einer Demonstration letztes Jahr ins Gesicht geschlagen.
Selbst wenn Sie eine Waffe erwerben könnten, dürften Sie diese nicht tragen. Sie würde Ihnen also gar nichts nützen, wenn Sie an Veranstaltungen angegriffen werden.
Es geht mir nicht darum, draussen mit einer Waffe herumzulaufen. Ich möchte sie nur als Schutz für unsere Räumlichkeiten. Ich möchte Umgang mit einer Waffe haben können, wie jeder andere Schweizer auch. Und ich verstehe nicht, warum das nicht möglich ist.
Sie haben keine Ahnung, warum Ihnen eine Waffe verweigert wird?
Nein. Es ist nur eine weitere Form von Einschränkung, weil man ein praktizierender Muslim ist.
Sie sind nicht einfach ein praktizierender Muslim, wie einer von rund 400'000 Muslime in der Schweiz ...
... da machen Sie einen grossen Fehler.
Warum?
Sie denken, ich bin ein Spezialfall. Bin ich nicht.
Sind Sie doch. Sie vertreten die Ideologie einer absoluten Minderheit. Eine wortwörtliche Auslegung des Islam, die selbst unter Muslimen umstritten ist. Sie haben mit radikalen Aussagen zur Steinigung der Frau, mit Einladungen von Hasspredigern für Diskussionen gesorgt. Sie sollen Verbindungen zu gefährlichen islamistischen Organisationen wie der Al-Nusra-Front haben. Und Sie denken, Sie bekommen keinen Waffenerwerbsschein, einfach, weil Sie ein Muslim sind?
Ich bin eine öffentlich exponierte Person, und ich vertrete hier ganz klar eine differenzierte Haltung zu all dem, was Sie da eben zitiert haben. Man versucht, ein Bild zu malen, das man benutzen kann, um unsere Grundrechte auszuhöhlen.
Inwiefern?
Man versucht Verbindungen zu skurrilen Organisationen aufzuzeigen. Die gibt es nicht. Man behauptet, wir wollen eine islamistische Schweiz. Das stimmt nicht.
Der Islamrat hat keinen Kontakt zur Al-Nusra-Front, einer dschihadistisch-salafistischen Organisation in Syrien?
Nein. Man will aus uns einen inneren Feind machen, um vorzugeben, man habe ein Sicherheitsproblem, um so dann die Kompetenzen des Nachrichtendienstes auszuweiten.
Warum schaffen Sie nicht grundsätzlich mehr Transparenz, Herr Blancho? Sagen, woher das Geld kommt, mit dem sich der IZRS finanziert? Es heisst, Sie werden von Kuwait unterstützt, Saudi-Arabien, Katar.
Der IZRS publiziert jährlich einen detaillierten Finanzbericht. Dass wir von diesen Staaten Geld erhalten, stimmt nicht. Richtig ist, dass wir seit Jahren um Finanzierungshilfe für ein Moscheebauprojekt weibeln. Bisher ohne Erfolg.
Viele Menschen in der Schweiz haben wohl mehr Angst vor Ihnen, Herr Blancho, als umgekehrt. Wenn man die Kommentare in Internetforen, auf Social Media liest, heisst es: Herr Blancho ist ein Wolf im Schafspelz. Eigentlich will er eine islamische Schweiz, in der die Scharia gilt.
Genau das meine ich, wenn ich sage, man sucht einen inneren Feind. Wer unsere Texte liest oder mit uns das Gespräch sucht, weiss, dass wir die Anwendung der Scharia nur in einer islamischen Gesellschaft gutheissen.
Sind Sie ein Islamist, Herr Blancho?
Ich denke, man sieht mich in diesem Spektrum.
Und wie sehen Sie sich?
Als Muslim. Im Islam gibt es keine Trennung von Politik und Religion. Vieles ist nach dem göttlichen Gesetz, der Scharia, geregelt. Ich bin davon überzeugt, dass dies der richtige Weg ist.
Ich beleidige Sie also nicht, wenn ich Sie als Islamist bezeichne?
Nein.
Viele setzen Islamismus gleich mit Gewalt.
Leider. Oder Politik mit Korruption. Man muss differenzieren.
Und was ist mit der Steinigung von Ehebrechern?
Ich möchte ganz ehrlich sein: Das hier ist nicht der Rahmen, in dem ich das mit Ihnen in einem Satz besprechen kann. Das ist eine philosophische Frage.
Ich finde das nicht sehr philosophisch, sondern archaisch und brutal. Ich kann das beim besten Willen nicht auf eine intellektuelle Ebene hieven.
Man muss das System verstehen. Eine Steinigung ist auch ein Abschreckungsmanöver. Es geht nicht um die Umsetzung, denn dafür müssten vier Zeugen den Akt beobachtet haben.
Lassen wir das so stehen und reden über den IS. Seine Gewaltexzesse sind absolut schockierend. Wie beurteilen Sie das?
Sehen Sie, wir wissen auch nicht, was sich hinter dem IS verbirgt. Was er genau will. Wir haben die blutigen Exzesse klar und deutlich verurteilt.
Unterstützen Sie junge Menschen in der Schweiz, die in den Dschihad ziehen wollen?
Nein. Wir raten ihnen sogar ab. Wie gesagt, der Kampf kann im islamischen Verständnis eine Option sein. Aber nicht mit den Überzeugungen des IS. Wir sagen, es ist ein Fehler zu gehen. Du wirst auf eine Realität treffen, die dich schockieren wird und vielleicht hast du nicht mehr die Möglichkeit, zurückzukommen. Setze dich hier für den Islam ein.
Die Vision des IS scheint eine islamistische Welt zu sein. Und Ihre? Träumen Sie von einer islamistischen Schweiz?
Eine islamistische Schweiz ist eine Utopie. Muslime müssen respektieren, dass Europa seine eigene Welt, seine eigenen Wertvorstellungen hat. In der Schweiz gilt das hiesige Recht. Auch für uns. Innerhalb der gültigen Rechtsordnung haben wir aber auch Rechte. Diese möchten wir leben.
Es gibt islamistische Gruppierungen in Europa, die dies anders sehen. Ein Beitrag von BBC dokumentiert eine Scharia Patrol in einem Quartier von London. Dort befehlen bärtige Männer allen, ob Muslim oder nicht, unfreundlich, sich nach islamischer Ordnung zu kleiden und zu verhalten. Auch in Frankreich gab es solche Übergriffe. Was sagen Sie dazu?
Es ist daneben. Das geht einfach nicht in der westlichen Welt.
Warum distanzieren Sie sich nicht davon?
Wovon soll ich mich denn noch alles distanzieren? Es hat bislang noch niemand danach gefragt. Also nochmals. Ich finde es daneben.
Es wird keine Scharia Patrol in der Schweiz geben?
Wir wollen dieses Land nicht übernehmen. Nicht beherrschen. Nicht islamisieren. Wir sind aber der Meinung, dass dies umgekehrt auch in den muslimischen Ländern gelten soll.
Wie meinen Sie das?
Die Muslime haben das Recht, in ihren Ländern eine Rechtsform zu finden, eine eigene Staatlichkeit zu etablieren. Andere Werte zu leben. Und dies soll von der Weltgemeinschaft respektiert werden. Auch wenn man das nicht gut findet. Der Westen darf sich nicht einmischen. Die islamische Welt muss einen eigenen Weg finden und diesen untereinander aushandeln.
Aber doch nicht mit Waffen-gewalt.
Ich bin einverstanden bis zu einem gewissen Grad. Wenn eine Gruppe findet, wir machen das mit Waffen – dann muss die andere Seite sich verteidigen können.
Sie sind mit 16 zum Islam konvertiert. Ihr Vater fühlt sich dem Buddhismus nahe, Ihre Mutter ist reformiert. Man hat Ihre Entscheidung respektiert. Werden Sie dies auch tun, wenn Ihre Kinder einen anderen Weg gehen wollen?
Ich werde meinen Kindern den Islam so gut erklären wie ich kann. Und natürlich von tiefem Herzen hoffen, dass sie diesen Weg weitergehen.
Ja oder nein?
Ja. Es kommt der Tag, an dem sie für ihre Handlungen die Verantwortung selbst übernehmen müssen.
Mögen Sie dieses Land, das Ihre Heimat ist?
Ja.
Warum haben Sie dann in Sendungen auf Al Dschasira gesagt, die Schweiz sei islamfeindlich?
Ich mache mir ernsthaft Sorgen um den sozialen Frieden. Darum spreche ich darüber. Ich bin der Meinung, dass in der Schweiz islamfeindliche Tendenzen zu spüren sind.
Sie bringen mit solchen Aussagen unser Land in Gefahr.
Gar nicht. Ich habe auch immer gesagt, dass es inakzeptabel ist, die Schweiz oder Schweizer Interessen im Ausland anzugreifen.
Zum Schluss, welche Frage würden Sie gerne der Schweizer Öffentlichkeit stellen?
Wovor konkret haben Sie wirklich Angst?