Die katalanische Separatisten-Führerin Marta Rovira (41), die von der spanischen Regierung per Haftbefehl gesucht wird, ist in der Schweiz. BLICK konnte die Katalanin am Donnerstag in Genf treffen. Sie sei ins Exil gegangen, weil sie nur so für ihre siebenjährige Tochter sorgen könne, erklärte sie ihre Flucht aus Spanien.
Doch nun, wo ihr Aufenthaltsort bekannt ist, könnte Rovira auch in der Schweiz Ungemach drohen. Sie wird per internationalem Haftbefehl gesucht, weshalb die Schweiz Rovira eigentlich ausliefern müsste. So sieht es das Europäische Auslieferungsabkommen vor, das auch die Schweiz unterzeichnet hat.
Behörden wussten seit längerem Bescheid
Allerdings gibt es zwei Punkte, die Rovira Hoffnung machen dürften: Ausgeliefert werden muss nur, wenn die Straftat sowohl nach spanischem als auch nach Schweizer Recht mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr sanktioniert wird. Und: Die Schweiz muss nicht ausliefern, wenn die strafbare Handlung als eine politische angesehen wird.
Dass Rovira noch immer auf freiem Fuss ist, spricht dafür, dass der Bund zögert, sie auszuliefern. Denn die Schweizer Behörden wissen seit längerem, dass sich die katalanische Politikerin bei uns befindet. Wie Rovira im Interview mit der Westschweizer Zeitung «Le Temps» sagt, habe sie sich direkt nach ihrer Einreise bei den Behörden gemeldet.
Bund schweigt und verweist aufs Amtsgeheimnis
Nach Schweizer Recht muss das Bundesamt für Justiz (BJ) prüfen, ob der Haftbefehl alle erforderlichen Angaben enthält und ob eine Auslieferung grundsätzlich in Frage kommt. Ist der Aufenthaltsort in der Schweiz bekannt, weist das BJ das zuständige Polizeikorps direkt an, die gesuchte Person festzunehmen.
Das BJ will sich zum Fall Rovira nicht äussern. «Fahndungsersuchen sind grundsätzlich vertraulich und unterstehen dem Amtsgeheimnis», sagt Sprecher Raphael Frei dem BLICK. «Es besteht für uns kein Grund, zum Beispiel aufgrund von Medienberichten, von diesem Grundsatz abzuweichen.»
Das Aussendepartement (EDA) gab gegenüber der Nachrichtenagentur SDA an, von den Medienberichten Kenntnis zu nehmen, aber keinen Kontakt zu Rovira zu haben.
«Ein Fall für die Diplomatie»
Aussenpolitiker sind im Rovira-Fall vorsichtig mit Forderungen an den Bundesrat und die Verwaltung. «Das ist ein Fall für die Diplomatie und fällt nicht in den Aufgabenbereich des Parlaments», sagt CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (54). Klar sei für sie aber: «Internationale Abkommen müssen eingehalten werden», so die Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (APK).
Neo-Nationalrat und APK-Mitglied Fabian Molina (27, SP) ist zuversichtlich, dass Rovira in der Schweiz nichts passieren wird: «Ich gehe nicht davon aus, dass Frau Rovira die Auslieferung droht», sagt er. «Denn die Straftatbestände, die ihr die spanische Justiz vorwirft, sind in der Schweiz nicht strafbar.» Er verweist auf den Genf-Besuch des ehemaligen katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont vor einem Monat. «Auch Puigdemont konnte sich in der Schweiz frei bewegen.»
Dass Rovira noch immer nicht in Gewahrsam genommen wurde, sei für ihn ein ermutigendes Zeichen, so Molina. «Das zeigt mir, dass das BJ eine unbürokratische Lösung sucht, weil eh klar ist, dass man sie nicht ausliefern wird.»
Thema in Kommissionssitzung nächste Woche
Die Basler Nationalrätin Sibel Arslan (37) will das sicherstellen. Für die kommende Sitzung der APK nächste Woche beantragt sie, dass der Fall von Rovira traktandiert wird. «Rebellion und Aufruhr – weswegen Marta Rovira gesucht wird – sind in der Schweiz keine Straftatbestände», sagt die Grüne.
Sie verlangt daher Antworten von Bundesrat und Verwaltung: Sie will wissen, wie die offizielle Schweiz im Falle eines Auslieferungsgesuchs von Marta Rovira handeln wird, und fordert, dass die Schweiz an ihrer bisherigen Haltung festhält, niemanden wegen politischer Vergehen auszuliefern. Arslan will zudem verhindern, dass Rovira wie der Puigdemont in Deutschland in Haft genommen wird. «Es muss Alternativen dazu geben.»
Rovira will bleiben
Im Interview mit «Le Temps» sagte Rovira, dass sie sich in der Schweiz ein neues Leben aufbauen wolle. Sie suche Arbeit und möchte auch ihre Familie hierher holen. Für die katalanische Unabhängigkeit will sie sich aber weiterhin einsetzen.
Als spanische Staatsangehörige darf sich Rovira 90 Tage ohne Auflagen in der Schweiz aufhalten. Danach muss sie sich bei den Behörden anmelden. Das Personenfreizügigkeitsabkommen gibt ihr dann die Möglichkeit, ein Jahr lang nach einem Job zu suchen.
Lesen Sie morgen das grosse Interview mit Marta Rovira im SonntagsBlick
Kein Teil mehr von Spanien sein, sondern unabhängig. Danach sehnten sich viele Katalanen. Um die Abspaltung offiziell zu machen, gab es das Unabhängigkeitsreferendum im Oktober 2017. Hier stimmten rund 90 Prozent der Wähler für eine Abspaltung.
Das Problem: Das spanische Verfassungsgericht hatte die Abstimmung zuvor für illegal erklärt. Und: Die spanische Regierung hatte mit heftigen Polizeiaufgebot versucht, das Referendum aufzuhalten. Es kam zu Ausschreitungen. Es soll ein Kompromiss gesucht werden. Regierungschef von Katalonien, Carles Puigdemont, versucht einen Dialog mit der Zentralregierung in Madrid zu finden und scheitert.
Die Regierung Puigdemont wird abgesetzt, in Katalonien werden Neuwahlen ausgerufen. Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Puigdemont und andere der abgesetzten Regierung. Einige werden verhaftet, andere können fliehen.
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