Genau 1502 Patienten warteten Ende September auf eine Organspende. Aber nur bei 105 verstorbenen Personen durften Mediziner in dieser Zeit Organe entnehmen – und konnten dadurch 331 Transplantationen durchführen. Das sind die neusten, erschreckenden Zahlen der Stiftung Swisstransplant.
Wenn auch nicht alle Verstorbenen als Organspender in Frage kommen: Der Bedarf könnte problemlos gedeckt werden. Denn jedes Jahr sterben rund 65’000 Personen in der Schweiz. Besonders die Aussichten für herzkranke Patienten haben sich rasant verschlechtert. Allein in dieser Kategorie ist die Warteliste von Ende März bis Ende September von 224 auf 507 Personen angestiegen.
«Unser Ziel ist Leben retten»
Junge Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich in der Bewegung Jeune Chambre Internationale Riviera (JCI) zusammengeschlossen haben, lancierten deshalb heute Morgen eine Volksinitiative. Künftig sollen alle Personen, die sich nicht explizit weigern, zum Spender werden. Die Organspende «beruht auf dem Grundsatz der vermuteten Zustimmung», heisst es im Initiativtext.
Derzeit benötigen Organspender in der Schweiz eine Organspendekarte und erklären so ihre Zustimmung zur Entnahme von Organen gegenüber Familienangehörigen. Diesen Grundsatz wollen die Initianten also umkehren. «Unser Ziel ist es, Leben zu retten», sagt Julien Cattin, Präsident der Initiative. Die Entscheidung der betroffenen Person solle besser respektiert werden.
Spenden-Register soll Klarheit schaffen
Konkret wollen die Initianten erreichen, dass sich die Schweizer in einem Spenden-Register eintragen, ob sie ihre Organe spenden wollen oder nicht. Wer dies nicht tut, wird als möglicher Spender betrachtet. Cattin versicherte aber, dass die Angehörigen in jedem Fall ihr Veto einlegen könnten. Es werde immer ein Gespräch mit der Familie und den Angehörigen geben.
In der Schweiz spenden vergleichsweise wenig Personen ihre Organe. Laut Initianten und Swisstransplant vor allem deshalb, weil viele Angehörige gar nicht wissen, ob der Verstorbene dazu bereit wäre oder nicht. Mit dem System der vermuteten Zustimmung werde sich dies ändern, so die Überzeugung. «Wir möchten das Bewusstsein für die Thematik fördern und dadurch erreichen, dass sich die Menschen eine Meinung bilden», sagt JCI-Präsidentin Anne-Céline Jost.
Im Parlament war die Einführung der vermuteten Zustimmung bei Organspenden höchst umstritten. So stimmte der Nationalrat 2013 einem entsprechenden Vorstoss zu, der Ständerat versenkte das Ansinnen wenig später.
Ethiker haben grossen Bedenken
Dabei zeigt sich kein Links-rechts-Graben, sondern vielmehr eine Schneise zwischen Liberalen und Konservativen quer durch alle Parteien: Sowohl bei der SP wie bei der FDP, die beide zustimmten, gab es Abweichler. CVP und SVP sagten mehrheitlich Nein.
Ethiker haben grosse Bedenken: Es werde in Kauf genommen, dass man allenfalls einem Menschen Organe entnehme, der dies nicht wolle. «Das ist Organ-Raub», so Ruth Baumann-Hölzle, die Leiterin des Instituts Dialog Ethik in Zürich. Der Anspruch jedes Menschen auf Autonomie und Integrität werde dadurch missachtet, warnt die Ethikerin weiter. «Ein grundlegendes Menschenrecht würde ausser Kraft gesetzt.»
Auch der Bundesrat ist skeptisch. «Der behauptete positive Effekt der Widerspruchslösung ist nicht genügend belegt, als dass eine solche Regelung den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte rechtfertigen würde.»
In der Schweiz können sieben Organe gespendet und transplantiert werden. Es sind dies Herz, Lunge, Leber, beide Nieren, Dünndarm und Pankreas. Dazu kommt diverses transplantierbares Gewebe.
Das letzte Wort über diese ethisch delikate Frage wird das Volk haben – sofern denn die nötigen 100’000 Unterschriften zustande kommen.