Er war an den Feierlichkeiten der grosse Abwesende: Alt Bundesrat Adolf Ogi (78) gilt als «Vater» der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (Neat). Dennoch konnte er die offizielle Eröffnung des Ceneri-Basistunnels am Freitagmorgen nur aus der Ferne beobachten.
Wegen des Coronavirus sei er von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (60) wieder ausgeladen worden, sagt der ehemalige Verkehrsminister gegenüber Blick TV. Die Enttäuschung ist ihm anzumerken: «Klar bin ich etwas traurig. Aber das ist jetzt halt so.» Kritik will er keine äussern, auch wenn er es war, der das Milliarden-Projekt aufgegleist hat: «Das hat viel Führungsbereitschaft gebraucht – und viel Mut.»
«Der Tunnel bringt die Schweiz näher zusammen»
Freude herrschte dafür im Tessin. Wo die Festgemeinde feierliche Reden hielt, das obligate Band durchschnitt und das Startsignal gab für die erste offizielle Zugdurchfahrt durch den Ceneri-Tunnel.
In ihrer Rede im Festzelt in Camorino erzählte Bundespräsidentin Sommaruga von ihrer Kindheit. Die Familie haben jeweils praktisch alle Ferien im Tessin verbracht: «Die Reise dorthin dauerte eine gefühlte Ewigkeit», erinnerte sie sich. Statt über den Berg gehe es jetzt durch den Berg. Der Ceneri-Tunnel stärke den öffentlichen Verkehr – «und er stärkt das Tessin», fuhr Sommaruga fort. Er bringe die Schweiz näher zusammen.
Sommaruga lobte weiter den «weitsichtigen» Entscheid der Schweizer Bevölkerung, die sich 1992 für die Neat ausgesprochen hatte. Der Ceneri sei zusammen mit Gotthard und Lötschberg «das Herzstück des wichtigsten Bahnkorridors zwischen Nordsee und Mittelmeer».
«Heute erleben wir die Realisierung einer Vision», sagt ein bewegter Ignazio Cassis (59). Der Tessiner Aussenminister bezeichnete die Tunnelbauerin AlpTransit Gotthard AG als «Klebestoff», der die Schweiz verbinde. Dank den schnelleren Verbindungen ab Mitte Dezember könne man zwischen dem Festival del Film in Locarno und dem Festival Jazz in Lugano munter hin- und herhüpfen.
Reisezeiten verkürzen sich teilweise deutlich
Mit der Eröffnung des 15,4 Kilometer langen Ceneri-Tunnels zwischen Camorino bei Bellinzona und Vezia bei Lugano wird möglich, worauf die Schweiz seit Jahrzehnten wartet: Ab dem Fahrplanwechsel am 13. Dezember verkürzen sich die Reisezeiten zwischen Nord und Süd um rund 20 Minuten.
Eine Fahrt von Zürich nach Lugano dauert künftig nur noch knapp zwei Stunden. Von Luzern nach Lugano werden Reisende noch 1 Stunde und 40 Minuten benötigen. Und von Zürich nach Mailand braucht der Zug neu nur noch 3 Stunden und 17 Minuten.
Aber gerade auch das Tessin soll von dem neuen Tunnel profitieren. Die Fahrtzeit zwischen Lugano und Locarno halbiert sich auf 30 Minuten. Und zwischen Bellinzona und Lugano werden es künftig noch 15 Minuten sein.
Das ist ein weiterer Meilenstein im Schweizer Bahnverkehr. Nach 28 Jahren ist das Jahrhundertbauwerk Neat vollendet. Die Zulaufstrecken im Ausland dagegen lassen weiter auf sich warten.
Die meisten Gäste mussten zu Hause bleiben
Die Feier sollte ursprünglich der Zeremonie beim Gotthard-Basistunnel im Jahr 2016 in nichts nachstehen. Wegen der Corona-Krise aber müssen die vorgesehenen 650 Gäste zu Hause bleiben. Nur noch einige Dutzend werden dabei sein können.
Schon am Donnerstag ist Bundespräsidentin und Verkehrsministerin Sommaruga ins Tessin gereist. Auf ihre Einladung trafen sich Delegationen aus den Verkehrsministerien der Nachbarländer in Locarno. Sommaruga bezeichnete die Vollendung der Neat als «epische Leistung».
Nach dem Gotthard- (56 km) und dem Lötschberg-Basistunnel (34,6 km) ist der Ceneri-Tunnel mit seinen 15,4 Kilometern der drittlängste Neat-Tunnel. Wie beim Gotthard wurden aus Sicherheitsgründen zwei Einspurröhren gebaut. Gesamtkosten: rund 22 Milliarden Franken.