SVP-Chef und die Grünen-Präsidentin im BLICK-Duell
Rösti gegen Rytz – der grosse Klimastreit

Während im Amazonas-Gebiet der Regenwald brennt, schliesst Bundesrat Guy Parmelin (59) das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten. Und SVP-Präsident Albert Rösti (52) und Grünen-Chefin Regula Rytz (57) streiten darüber, wie auf den Klimawandel zu reagieren ist.
Publiziert: 26.08.2019 um 23:44 Uhr
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Aktualisiert: 27.08.2019 um 07:57 Uhr
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SVP-Chef Albert Rösti und die Grünen-Präsidentin Regula Rytz streiten sich, wie man auf den Klimawandel reagieren soll.
Foto: Philippe Rossier
Tobias Bruggmann und Pascal Tischhauser (Text), Philippe Rossier (Bilder)

BLICK: Herr Rösti, im Amazonas brennt der Regenwald, und Ihr SVP-Bundesratschliesstein Freihandelsabkommen mit Mercosur ab.

Albert Rösti: Die SVP will keine billigen ausländischen Lebensmittel in der Schweiz. Dagegen haben wir uns bei Freihandelsabkommen schon immer gewehrt und so die Schweizer Landwirtschaft gestärkt. Nur wenn wir auch bei Importen Einfuhrkontingente einfordern, verhindern wir Brandrodungen. Denn ohne ausländisches Billigstfleisch in unseren Verkaufsregalen entsteht gar nicht erst die Nachfrage nach solchen Produkten, für die dann der Regenwald niedergebrannt würde. Auch im Falle von Mercosur verlangen wir darum längst Einfuhrbeschränkungen.

Regula Rytz: Es ist unsäglich! Die grüne Lunge unseres Planeten brennt und Herr Parmelin prahlt mit einem Freihandelsabkommen. Da schauen wir nicht einfach zu. Wir Grünen haben mit der Fair-Food-Initiative neue Spielregeln für den Handel mit Nahrungsmitteln gefordert. Doch die globalen Agrokonzerne sagen heute, wo es langgeht.

Sie haben mit dem Referendum gegen das Abkommen gedroht. Ist das nicht einfach Wahlkampf?

Rytz: Ein Referendum ist die letzte Möglichkeit, das Spiel zu durchkreuzen. Doch vorher braucht es Soforthilfe bei der Bekämpfung der Brände und bei der Wiederaufforstung. Da sollte auch die Schweiz mithelfen.

Das Abkommen könnte auch zu mehr Fleischimporten führen. Damit konkurrenziert der Bundesrat die Schweizer Bauern.

Rösti: Der Bundesrat hat bisher stets versichert, dass er den Interessen der Schweizer Fleischproduzenten ausreichend Rechnung trage. Wie weit das jetzt erfüllt ist, müssen wir anhand des Vertragstexts genau prüfen.

Was stört Sie denn konkret am Abkommen, Frau Rytz?

Rytz: Mercosur beschleunigt die Vernichtungsspirale des Amazonas. Es wird abgeholzt und abgebrannt, um Platz für Soja und Exportrinder für den europäischen Markt zu schaffen. Das schadet nicht nur den Menschen in Brasilien, sondern setzt auch die Bauern in der Schweiz unter Druck. Die Zerstörung des Regenwalds fängt auf unseren Tellern an.

Regula Rytz

Die gelernte Lehrerin Regula Rytz (57) lebt seit Jahren in der Stadt Bern. Von 2005 bis 2012 war sie Mitglied der Stadtregierung. Im Oktober 2011 wurde sie in den Nationalrat gewählt. Ein halbes Jahr später übernahm Rytz das Präsidium der Grünen Schweiz. Damit war sie mitverantwortlich für die Wahlschlappe 2015. Doch die Umfragen für die Wahlen vom Herbst sehen gut aus. Sie könnten gar die CVP überholen. Wohl ihr letzter Erfolg als Präsidentin. 2020 darf sie laut Statuten nicht mehr zur Wiederwahl antreten.

Die gelernte Lehrerin Regula Rytz (57) lebt seit Jahren in der Stadt Bern. Von 2005 bis 2012 war sie Mitglied der Stadtregierung. Im Oktober 2011 wurde sie in den Nationalrat gewählt. Ein halbes Jahr später übernahm Rytz das Präsidium der Grünen Schweiz. Damit war sie mitverantwortlich für die Wahlschlappe 2015. Doch die Umfragen für die Wahlen vom Herbst sehen gut aus. Sie könnten gar die CVP überholen. Wohl ihr letzter Erfolg als Präsidentin. 2020 darf sie laut Statuten nicht mehr zur Wiederwahl antreten.

Muss also in der Schweiz mehr produziert werden?

Rytz: Die Landwirtschaft kann sich nur im Einklang mit der Natur entwickeln. Da stossen wir an Grenzen, auch wegen der hohen Nutztierbestände. Zudem bedrohen Pestizide heute unser Trinkwasser und die Artenvielfalt. Auf den Agrarflächen sind 60 Prozent der Brutvögel und Insekten verschwunden. Da muss etwas geschehen.

Rösti: Ich kann mir die Schweiz, die die Grünen wollen, nicht vorstellen. Frau Rytz hat sich als Vegetarierin geoutet. Es wird sehr viel für vegetarisches oder veganes Leben geworben. Ginge es nach den Veganern, hätten wir eine Schweiz ohne Kühe und Berggebiete ohne Arbeitsplätze. Sollen alle in die Stadt ziehen und automatisch mehr Ressourcen verbrauchen?

Hat der Städter wirklich einen grösseren ökologischen Fussabdruck? Er wohnt verdichtet und fährt Tram.

Rytz: Genau. Auf dem Land sind die Leute eher aufs Auto angewiesen, und sie werden das auch in Zukunft sein. Aber das ist eine unsinnige Diskussion. Suchen wir das Verbindende. Ich habe grossen Respekt vor der Arbeit der Bauern. Zum Glück sind Reformen möglich, die den Umweltschutz voranbringen und den Bauern faire Preise sichern.

Rösti: Ob Sie das glauben oder nicht, der reichere Städter fährt öfter in die Ferien und konsumiert mehr, weil mehr zur Verfügung steht. Statistiken zeigen: In den Berggebieten ist das Volkseinkommen kleiner.

Das also ist Ihre Klimalösung? Dass alle möglichst wenig verdienen?

Rösti: Chabis! Drehen Sie mir nicht das Wort im Mund um! Ich sage: Schauen wir, dass die Leute in den Berggebieten Arbeit haben. Trotzdem: Auch Zuwanderer verbrauchen mehr. In den letzten 13 Jahren sind eine Million Leute gekommen, dafür brauchte es Wohnungen.

Aber die deutsche Fachkraft benötigt in Zürich nicht mehr Ressourcen als in Düsseldorf ...

Rösti: Jetzt reden wir über Biodiversität! Der Fachkraft steht in Deutschland ein viel grösseres Gebiet zur Verfügung. Hier bei uns ist es schon eng. Darum frage ich Frau Rytz: Wäre es wegen der Artenvielfalt nicht sinnvoll, die Zuwanderung zu begrenzen?

Rytz: Sie schaffen es von überall her zum Lieblingsthema Migration und weichen aus. Vielleicht sollten Sie sich mal vertieft mit dem Leben in Städten und Agglomerationen auseinandersetzen. Ein Vergleich von Einkommen und Mietzins sowie anderer Lebenshaltungskosten zeigt, dass die höheren Kosten die höheren Löhne ausgleichen.

Rösti: Damit beweisen Sie, dass Sie keine Ahnung haben, wie bescheiden die Leute in den Berggebieten leben – überhaupt keine Ahnung!

Rytz: Ich weiss, dass in städtischen Gebieten auch viele Menschen, sehr, sehr bescheiden leben müssen. 

Rösti: Das stelle ich nicht in Abrede. Aber in der Mehrheit …

Rytz: ... diese Stadt-Land-Diskussion bringt nichts. Wir müssen für alle Lösungen finden. Glücklicherweise sind Sie mit Ihrem Referendum gegen die Energiestrategie gescheitert. Jetzt können wir in die einheimische Energieproduktion investieren und werden in Zukunft nicht mehr jedes Jahr über zehn Milliarden Franken für Öl und Gas nach Saudi-Arabien oder Russland schicken.

Rösti: Das Grundproblem ist die Personenfreizügigkeit. Wenn ein Zuwanderer aus Bulgarien kommt, braucht er nicht nur hier eine Wohnung und Strassen, nein, er hinterlässt auch zu Hause ein Haus, das er nicht abreisst. So führt Zuwanderung eben zu mehr versiegelter Fläche.

2019 hat die Sicht der Grünen Aufwind. Stimmen die Prognosen, könnten die Grünen die CVP überholen. Frau Rytz, kandidieren Sie als Bundesrätin?

Rytz: Ich spekuliere nicht über den Wahlausgang. Wir wollen im Parlament zulegen, um eine verantwortungsvolle, soziale Klimapolitik durchzusetzen. Abhängig vom Wahlergebnis werden wir ab dem 21. Oktober mit den anderen Parteien über die Zusammensetzung der Regierung diskutieren.

Läuft der Wahlkampf an der SVP vorbei, weil Sie den Klimawandel ignorieren?

Rösti: Wir wechseln unsere Themen nicht nach dem Wetter. Die SVP wollte schon immer saubere Luft, sauberes Wasser und eine intakte Umwelt. Frau Rytz hat gesagt, dass sie Lösungen für alle will. Aber ihre Lösungen mit zwölf Rappen mehr für den Liter Benzin und teures Heizöl, das ist Politik für die Reichen.

Es gibt einen breiten Konsens, dass die Schweiz hier handeln muss.

Rösti: Geht es nach Frau Rytz, kommen pro 100 Kilometer zehn Franken Maut dazu. Das gäbe 2000 Franken bei jährlich 20’000 Autokilometern. Das können sich viele nicht leisten.

Rytz: Das sind Fantasiezahlen. Fakt ist: Wer von einem 8-Liter-Wagen auf ein 4-Liter-Auto umsteigt, spart mehrere Hundert Franken im Jahr. Das lohnt sich. Trotzdem werden in Schweizer Agglomerationen immer mehr schwere SUVs verkauft. Offenbar spielt das Geld da keine Rolle. 

Rösti: Die Unternehmen investieren schon in effizientere Fahrzeuge. Denn Benzin kostet Geld. Wenn aber eine Familie 20’000 Franken für eine Ölheizung bezahlt hat und die Abschreibung noch nicht erfolgt ist, dann hat sie nicht einfach das Geld für einen Ersatz. Ist der Ersatz dann fällig, soll man auf ein effizienteres Modell setzen.

Albert Rösti

Albert Rösti (52) ist seit 2016 Präsident der SVP Schweiz. 2015 amtete er als Wahlleiter und erreichte dort für die SVP ein historisch gutes Resultat. Der promovierte Agronom wuchs als Bauernsohn in Kandersteg BE auf und lebt heute mit seiner Frau Theres und seinen zwei Kindern in Uetendorf BE. Seit 2014 ist er dort auch Gemeindepräsident. Gleichzeitig führt er ein Kleinunternehmen, das Beratungen für Politik und Wirtschaft anbietet, und ist Präsident von Swissoil, dem Dachverband der Brennstoffhändler.

Albert Rösti (52) ist seit 2016 Präsident der SVP Schweiz. 2015 amtete er als Wahlleiter und erreichte dort für die SVP ein historisch gutes Resultat. Der promovierte Agronom wuchs als Bauernsohn in Kandersteg BE auf und lebt heute mit seiner Frau Theres und seinen zwei Kindern in Uetendorf BE. Seit 2014 ist er dort auch Gemeindepräsident. Gleichzeitig führt er ein Kleinunternehmen, das Beratungen für Politik und Wirtschaft anbietet, und ist Präsident von Swissoil, dem Dachverband der Brennstoffhändler.

Also nicht mehr auf Öl oder Benzin?

Rösti: Es ist klar, dass viele absolut freiwillig von Ölheizungen wegkommen. Da braucht es nicht den Staat.

Herr Rösti will Unternehmen die Chance geben, mit Innovationen die Ökologie voranzutreiben. Frau Rytz, Sie schütteln den Kopf?

Rytz: Innovation ist wichtig, aber private Initiative alleine reicht nicht. Die Uhr tickt. Wenn wir nicht rasch handeln, haben wir in der Schweiz eine Erwärmung von bis zu 6 Grad!

Rösti: Das stimmt einfach nicht. Haben Sie den Weltklimaratbericht nicht gelesen?

Rytz: Wahrscheinlich detaillierter als Sie! In den Städten werden wir Hitzetage mit 40 Grad haben. Die Armee musste bereits mit dem Helikopter Wasser auf die Alpen fliegen. Das wird zunehmen. Leider blockiert die SVP nur. Nicht einmal die Bauern tragen Ihren Kurs noch mit.

Rösti: Das ist die Arroganz der Grünen, die einfach das Gefühl haben, Sie hätten recht und alle anderen nicht.

Die Wissenschaft belegt, dass wir die Klimaerwärmung selbst verschulden.

Rösti: Ich bin bei der Wissenschaft: Ich zitiere aus dem Bericht des Weltklimarats, nicht etwa aus dem SVP-Parteiprogramm oder was uns Frau Rytz sonst gerne vorwirft. Hier steht: Die Gleichgewichtsklimasensitivität liegt wahrscheinlich im Bereich von 1,5 Grad bis 4,5 Grad. Nicht 6 Grad!

Rytz: Das sind die globalen Durchschnittszahlen!

Rösti: Ach, Sie haben vorher von der Schweiz geredet?

Rytz: Natürlich.

Sie glauben also dem Klimabericht?

Rösti: Damit das ein für alle Mal klar ist: Die SVP leugnet die Klimaerwärmung nicht. Das tun wir einfach nicht!

Rytz: Dann hören Sie mal Herrn Köppel zu.

Rösti: Ich bin der Präsident! Ich räume auch ein, dass der Mensch einen Einfluss auf die Klimaerwärmung hat.

Das haben wir auf Band!

Rösti: Köppel leugnet den Klimawandel nicht, äussert sich aber pointiert gegen die links-grüne Umverteilung und Umerziehung. Wir wollen das Land nicht verarmen lassen. Stattdessen muss man Innovation ermöglichen. Und es braucht neue, hitzeresistentere Anbausorten. Und Prävention. Ich habe schon als Kind gelernt, das Licht zu löschen, wenn es nicht gebraucht wird. Und wir trennen den Abfall und werfen ihn nicht auf den Boden. Wir müssen Mass halten. Es braucht geschlossene Kreisläufe. Und viel weniger Migration.

Trotz der Klimademos fliegen die Leute mehr als je zuvor. Wählt man die Grünen bloss, um das schlechte Gewissen zu beruhigen?

Rösti: Natürlich! Endlich sagt das mal jemand. Es gibt zwar den Klimahype, aber niemand schränkt sich ein. Ich traue in der Schweiz dem einen oder anderen zu, dass er verzichtet. Aber weltweit? Wir können direkt nur ein Promille des CO2-Ausstosses beeinflussen.

Rytz: Warum so bescheiden? Nehmen Sie das Bundesland Baden-Württemberg mit dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann als Vorbild. Es hat die Grenzwerte für die Autoindustrie so stark gesenkt, dass es attraktiv wurde, auf Energieeffizienz zu setzen. Damit sparen alle Kosten. Eine ehrgeizige Klimapolitik nützt auch der Wirtschaft. 

Rösti: Sie wollen staatlich umverteilen und verbieten.

Rytz: Umweltschutz ist eine staatliche Aufgabe. Die Schweiz hat als erstes Land Phosphat in Waschmitteln verboten, weil es den Gewässern schadet. Vermissen Sie es heute? Ich nicht. Aber die Industrie hat es damals bekämpft.

Braucht es auch ein Verbot von Inlandflügen?

Rytz: Ich finde es völlig unsinnig, von Zürich nach Genf zu fliegen. Wir haben den besten ÖV der Welt und ein Inlandflug dauert alles in allem länger. Eine Flugticket-Abgabe soll jene belohnen, die am Boden bleiben.

Rösti: Herr Macron strebt eine Flugticket-Abgabe von 1.80 Euro bis 18 Euro an. Also eine Lachnummer. Wenn wir eine Abgabe von 120 Franken beschliessen, fährt man halt mit dem Auto nach Paris und steigt dort ins Flugzeug. Wenn in Brasilien der Präsident den Regenwald abholzt und Trump nichts im Bereich CO2 unternimmt, kann die Schweiz nicht meinen, sie könne den Klimawandel beeinflussen.

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