National- und Ständerat haben sich in den letzten vier Jahren gezofft wie selten zuvor – das wird sich ändern
Bekommen wir ein Kuschelparlament?

Die Legislatur war geprägt von Uneinigkeit zwischen National- und Ständerat. Der Rekord der Einigungskonferenzen wurde egalisiert. Mutiert das Parlament nach dem prognostizierten Linksrutsch im Nationalrat nun zum Kuschelparlament?
Publiziert: 17.10.2019 um 22:49 Uhr
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Aktualisiert: 18.10.2019 um 10:20 Uhr
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Die Legislatur war von Meinungsverschiedenheiten zwischen National- und Ständerat geprägt. Noch nie gab es mehr Einigungskonferenzen.
Foto: keystone
Nico Menzato und Ruedi Studer

10 Millionen Franken Steuerausfälle – oder 350 Millionen? National- und Ständerat stritten sich in der letzten Session, ob neben der steuerlichen Bevorteilung für Familien, die ihre Kinder in die Krippen schicken, auch der allgemeine Steuerabzug für Kinder erhöht werden soll. Die grosse Kammer war aus familienpolitischen Gründen dafür und stimmte für die 350-Millionen-Franken-Variante. Die kleine Kammer stemmte sich dagegen, weil sie zu grosse Steuerausfälle für Bund und Kantone befürchtete.

Selbst nach dreimaligem Hin und Her des Geschäfts wurde man sich nicht einig. Sodass die Einigungskonferenz entscheiden musste. Dort setzte sich der rechtere Nationalrat durch.

Rekord an Einigungskonferenzen

Dies ist bei weitem nicht der einzige solche Fall. In Bundesbern herrschte in den letzten vier Jahren ein Knatsch-Parlament. Das zeigt sich auch an der Zahl der Einigungskonferenzen. Der bisherige Rekord der Legislatur 2007 bis 2011 wurde egalisiert. Insgesamt 29-mal musste im kleinen Kreis mit je 13 Vertretern aus National- und Ständerat ein abschliessender Kompromiss gefunden werden, weil sich die Räte nicht einigen konnten.

Hauptgrund für die vielen Streitereien sind die unterschiedlichen Parteistärken in den beiden Kammern. Mitte-rechts dominiert den Nationalrat. SVP und FDP kommen zusammen auf insgesamt 101 Stimmen im 200-köpfigen Nationalrat.

Ganz anders im Stöckli. Hier hat Mitte-links das Sagen. CVP, SP, Grüne und BDP besetzen 28 der 46 Sitze und sind damit der dominante Block. Kommt ein Geschäft einzig dank SVP-FDP-Mehrheit im Nationalrat zustande, wird es im Ständerat zerzaust. Und umgekehrt. Heftige Konfrontationen gibt es oft in sozialpolitischen Fragen, aber auch in der Steuerpolitik. Und bei den Finanzen hat sich der Ständerat tendenziell ausgabefreudiger gezeigt als der Nationalrat.

Eiserne Fraktionsdisziplin

Auch die Fraktionstreue hat stark zugenommen. Parteiräson ist heute wichtiger als offene Flügelkämpfe. Gemäss einer Auswertung des Forschungsinstituts Sotomo in der «NZZ» ist die Streuung der Politiker einer Partei auf der Rechts-links-Achse in den letzten Jahren deutlich kleiner geworden. Damit werden die einzelnen Parteien zu stärkeren politischen Blöcken – und diese prallen umso heftiger aufeinander. 

Doch nicht nur die unterschiedlich starken Blöcke in den Parlamentskammern und die umso geschlossener auftretenden Parteien erklären die vielen Kämpfe bis ganz zum Schluss. Es ist auch ein Kulturwandel, wie der langjährige und nun abtretende CVP-Ständerat Konrad Graber (61, LU) sagt: «Früher war die Einigungskonferenz wirklich die Ultima Ratio. Heute geht man lockerer damit um.»

In der Einigungskonferenz gewinne in der Regel der Ständerat, sagt Graber. Daher sei schon erstaunlich, dass der Nationalrat trotz absehbarer Niederlagen den Weg bis zum bitteren Ende gehe. «Man droht damit, eine Vorlage in der Schlussabstimmung zu versenken.» Tatsächlich: Viermal scheiterten selbst die Kompromisse der Einigungskonferenz ganz am Ende noch.

Aeschi: «Nicht mehr Chambre de réflexion»

SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (40) ortet den Ursprung für die verhärteten Fronten in der kleinen Kammer. «Der Ständerat wählt immer wieder das Powerplay», moniert der Zuger. «Der Ständerat ist nicht mehr das ‹Chambre de réflexion›, sondern hat sich schleichend nach links bewegt und wird mittlerweile vom SP-Duo Christian Levrat und Paul Rechsteiner gesteuert.»

Er fürchtet den prognostizierten Linksrutsch. «Kippt auch der Nationalrat nach links, werden Leute wie Cédric Wermuth oder Regula Rytz den Ton angeben – das wäre ein Schreckensszenario», so Aeschi. In diesem Fall werde sich die SVP noch stärker auf die Oppositionsrolle konzentrieren und mit Referenden Gegensteuer geben müssen.

Darauf muss sich die SVP tatsächlich vorbereiten. Nach den Wahlen dürften die beiden Kammern wieder öfter im Gleichschritt marschieren. Gemäss Prognosen wird die Mitte-links-Mehrheit im Ständerat Bestand haben. Und während die Grünen und Grünliberalen im Nationalrat zulegen dürften, sagen die Umfragen Verluste für FDP und SVP voraus. Damit werden Mitteparteien in ihrer Scharnierfunktion gestärkt – Einigungskonferenzen wären seltener nötig. Das Knatsch- könnte auf einen Schlag zum Kuschel-Parlament mutieren.

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