In Graubünden entscheidet sich das Schicksal der Blochers
Martullos Angst vor der Abwahl

Magdalena Martullo-Blocher will in Graubünden Nationalrätin bleiben. Doch ihrer SVP droht im Bergkanton ein Sitzverlust.
Publiziert: 21.09.2019 um 23:58 Uhr
|
Aktualisiert: 23.09.2019 um 15:24 Uhr
1/16
Sie will hier bleiben. Magdalena Martullo-Blocher im Nationalrat.
Foto: KARL-HEINZ HUG
Tobias Marti (Text), Karl-Heinz Hug und Siggi Bucher (Fotos)

Im Bundesratszimmer im Bundeshaus, am runden schweren Tisch, abgeschirmt von ihrem persönlichen Mitarbeiter, ist Magdalena Martullo-Blocher (50) ganz in ihrem Element – also ganz die Chefin. Manchmal streckt ein Politikerkollege den Kopf rein, verzieht sich aber schnell wieder, wenn sie gebieterisch «Hallo?» ruft. Gerüchte über einen Rücktritt Ueli Mauers machen dieser Tage in Bern die Runde. Martullo gilt SVP-intern als Kronprinzessin. Auf die Frage, ob sie Bundesrätin werden möchte, bricht es aber aus ihr heraus: «Ich will Unternehmerin bleiben!» Doch das hat man auch schon anders gehört. Vor zwei Jahren sagte sie zu SonntagsBlick: «In einem Notfall, wenn die EU uns plötzlich unerwartet stark unter Druck setzen würde, dann würde ich das Amt wohl in Betracht ziehen.» Und wann herrscht schliesslich kein Notfall im EU-Dossier?

Ein bisschen Dallas

SVP-Nationalrätin, erfolgreiche Ems-Chemie-Chefin, Milliardärin und Tochter von SVP-Übervater Christoph Blocher – die Wiederwahl von Magdalena Martullo-Blocher als Bündner Nationalrätin bietet den spannendsten Wahlkampf im Land. Bekannt gemacht werden muss sie nicht. Fällt ihr Name, schwingt vieles mit.

Ein bisschen Dallas: Sie ist Spross eines märchenhaft reich gewordenen und machthungrigen Clans. Ein bisschen Dürrrenmatt – der Besuch der alten Dame. Ein ganzer Ort, der von ihr abhängig ist. «So ein Blödsinn!», fährt sie aus der Haut. Dürrenmatts Dame komme auf Besuch. Sie aber sei seit 19 Jahren in der Firma. Auch mit der Familie sei sie in Graubünden jahrzehntelang verankert.
Ratskollegen klagen, sie hätten sich erst an ihren Assistenten zu richten, ehe sie einen Termin bekommen. Der Assistent hat sich im Bundeshaus eine Art Vorkämmerchen eingerichtet.

Es gibt diesen Dok-Film, in dem die Chefin ihre Ems-Kader herunterputzt wie Schulbuben («You dreamer, du!»). Das Filmchen, im Internet rund eine Million Mal angeklickt, hat ihr Bild nachhaltig geprägt.

Wer aus dem Nationalrat fliegt, wird kaum mehr Bundesrat. Wenn die Bündner am 20. Oktober über Martullos Wiederwahl in den Nationalrat entscheiden, geht es also um mehr. Vielleicht erlebt sie momentan die wichtigste Phase ihrer Politkarriere. Dabei geht es auch um die Dynastie Blocher. Es könnte knapp werden. Der SVP droht im Bergkanton ein Sitzverlust. «Sie kämpft wie eine Löwin, das ist offensichtlich», sagt Andrea Hämmerle, Bündner alt Nationalrat der SP.

Geld ist kein Problem

Martullo-Blocher kämpft auf verschiedene Arten. Der Einsatz des Portemonnaies ist eine davon.

«Geld ist für sie kein Problem. Sie schöpft aus dem Vollen, seien das Spenden für Kirchenrenovationen oder Jubiläen», berichtet DHämmerle. Beispiele: In diesem Wahljahr finanzierte die Ems mit 90 000 Franken die Restaurierung eines Altars in der Pfarrkirche Sogn Gion in Domat/Ems. Im Wahljahr 2015 war es die Klosterkirche Disentis, die mit 110000 Franken aufgehübscht wurde. Die Musikgesellschaft Domat/Ems unterstützte Sie mit einem Beitrag an die neue Uniform. Es werde aber lange nicht alles publik: «Wir machen noch viel mehr», betont sie.


Tue Gutes, und sprich darüber. Oder: Kann man sich eine Wahl kaufen? «Die Leute sind nicht so dumm, dass sie sich kaufen lassen», entgegnet Martullo im Bundesratszimmer. Sie habe «noch nie jemanden finanziell unterstützt mit der Forderung, dass er mich wählt».
Aber selbstverständlich, findet sie, müsse die Unterstützung nicht im Geheimen erfolgen: «Die Leute dürfen die Zusammenhänge zum guten Wirtschaften ruhig sehen.» Mit Wahlen habe das nichts zu tun. «Ems hat seit der Gründung im Kanton viel übernommen und unterstützt, auch mein Vater.» Auch sie habe schon lange gespendet, bevor sie politisch aktiv geworden sei.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Nur wenige grummeln

Der Assistent guckt herein. Drüben im Saal werde nun abgestimmt. Martullo eilt zur Tür hinaus.

Der Bündner gilt als eher introvertierter Menschenschlag. Offene Kritik ist selten, im Fall Martullo sowieso. In den Leserbriefspalten grummeln manchmal ein paar wenige. Anruf bei einem Leserbriefschreiber, Bistgaun Capaul, Biobauer: Persönlich und wirtschaftlich habe er nichts gegen sie, betont er. Nur möge er es nicht, dass eine Zürcherin für Graubünden im Nationalrat sitze. Und dauernd sei sie in den Zeitungen: «In anderen Jahren sieht man nichts von ihr. Aber im Wahljahr ist sie wieder da mit dem gleichen Strickmuster.»

Martullo-Blocher wohnt in Meilen am Zürichsee. In ihrem Wahlkreis Graubünden ist das ein Manko. «Dieses Argument bringen die Medien und Linken immer wieder», wiegelt sie ab. Sie habe schon vor vier Jahren betont, ihr Wohnsitz sei dort, wo die Kinder zur Schule gingen. Sie werde die Kinder nicht aus der Schule in Meilen nehmen. «Ihr müsst mich halt so wählen.»
Martullo ist in die Dorfbeiz hi­nabgestiegen und die Surselva hi­nauf, um den skeptischen Berglern zu beweisen, dass sie es ernst meint mit ihrer Liebe zu Graubünden. Von ihren Erkundungstouren gibt es Bilder, oft landen diese in der Zeitung.

Manchmal erzählen sich die Leute ihre eigenen Geschichten. «Wir erlebten sie hier oben in Schiers, wo sie am 1.August eine Rede hielt», erinnert sich Brigit Boesch (86), ehemalige Gemeinderätin. Die Leute seien erstaunt gewesen und hätten den

Gemeindepräsidenten gefragt, warum Martullo rede. Dieser habe beteuert, sie habe sich von sich aus gemeldet. «Offenbar wehrte sich niemand dagegen. Das ist nicht in Ordnung, dass man den 1. August für Wahlzwecke missbraucht», findet Boesch. Sie und ihr Mann gingen nicht hin.

Martullo betont: «Ich lade mich nicht selber ein.» Es komme immer wieder vor, dass ein Mitarbeiter oder ein Parteikollege in ihrem Umfeld vorschlage, Frau Martullo könnte ja auch mal reden: «Ich erhalte etwa zehn Anfragen für Auftritte pro Tag.»
«Sie geht an alle Anlässe», beobachtet Andrea Hämmerle. Was ein spezielles Bild abgebe, wenn sie sich als Spross einer reformierten Pfarrfamilie in der katholischen Kirche von Ems zeige, «natürlich stets in den vordersten Reihen». Martullo: «Das war eine Prozes­sion, so etwas ist in Ems legendär.» Der Pfarrer habe ihnen die Plätze zugewiesen. «Das hat nichts mit Wahlkampf zu tun.»

Kritik an der Firma

Dann endlich ein kurzer Moment im Bundesratszimmer, in dem Magdalena Martullo-Blocher nicht auftrumpft, für ein paar Sekunden wenigstens. Denn die Gerüchte stimmen: Sie ist nicht mehr in der reformierten Kirche. Sie sei einige Zeit nach ihrem Mann ausgetreten. «Wegen der Kirchgemeinde, wegen der Steuern. Ich zahlte immer mehr, und die Kirchgemeinde sagte immer, sie hätten das sowieso bereits ausgegeben.» Zudem sei sie nicht zufrieden gewesen, wie die Gemeinde geführt war. «Wir sind aber trotzdem religiös.» Ihr Mann sei in der katholischen Kirche sehr stark engagiert.

Derweil in Domat/Ems, wo die Kirche Sogn Gion steht. Beeindruckend, wie Martullo präsent ist, auch wenn sie gerade in Bern weilt. «Die Ems-Chemie hat Ohren im Dorf», behauptet Dorfarzt Gustav Ott (70). Nur in der Familie werde offen geredet, vielleicht noch im Verein. Bis vor zehn Jahren war Ott Betriebsarzt bei der Ems, noch immer hat er Ems-Mitarbeiter als Patienten. Thema derzeit: Im Sommer seien wieder Dutzende Temporäre rausgestellt worden, so Ott. Die Ems halte sich Temporäre als Manövriermasse. Der Arzt hält das für «unmenschlich – diese Leute haben keine Sicherheit, keine Rechte, man kann sie einfach abbestellen».

Martullo erklärt das so: Das Ems-Geschäft habe saisonale Schwankungen, die man mit Temporären abdecken würde. Vor allem im Sommer, wenn die Kunden Ferien haben, gebe es weniger Aufträge. Mittlerweile habe die Firma wieder mehr Temporäre eingestellt, gibt sie zu und verteidigt sich: «Jetzt im Wahlkampf gibt es viel Polemik. Das ist mühsam, wenn sogar noch das Unternehmen reingezogen wird. Deshalb stellen sich viele Unternehmer nicht für die Politik zur Verfügung.»

Traktoren und Kühe

Nur der Rhein trennt Domat/Ems und Felsberg. Aber es sind Welten. Hier katholisch, da reformiert. Hier die Blochers, da die Schlumpfs. «Eine Abwahl schätzt man in der Familie Blocher ja gar nicht. Das ist ein Trauma, das sie um jeden Preis verhindern will», zündelt Andrea Hämmerle, der als Nationalrat 2007 die Fäden gezogen hat bei der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat.

Es wird nochmals laut im Bundesratszimmer. «Wir haben doch kein Trauma. Das ist auch nicht die gleiche Geschichte. In meinem Wahlkampf geht es um Listenverbindungen, bei meinem Vater war es ein Komplott des Parlaments mit den Linken.» Die Abwahl des Vaters habe sie aber stark getroffen, gibt Martullo zu: «Und dass das Komplott noch aus Graubünden kam, dem Gebiet, wofür mein Vater sich so stark einsetzte, um die Arbeitsplätze zu retten, das traf mich.»

Tage später, Wahlkampf, Alpabzug in Celerina GR, auf der Via ­Maistra unterwegs: historische Traktoren, Kühe und Martullo. Als Erstes bietet ihr Toni Brunner ­einen Schnupf an. Sie lehnt ab. Weitere SVP-Grössen sind da: Ständerat Peter Föhn, Toni Brunner, Nationalrat Heinz Brand und alt Nationalrat Elmar Bigger sowieso, der ist Älpler. Dazu 300 Rindviecher.

Verwirrung, was mit den Tieren weiter geschieht. Jemand erzählt Martullo, sie würden «gemetzget». Sie glaubts. Eine Älplerin klärt auf: Die Kühe sind trächtig und kommen heim. Trotz dem ungewohnten Terrain, Martullo steht die Rolle der bodenständigen Patronin gut. Abmarsch in die Beiz. Toni Brunner ist schon da: «Noch ein Schlückchen Weissen?» Martullo greift zu, trinkt aber nicht.

So funktioniert die Wahl 2019

Am 20. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament. Wer bei den Worten panaschieren, CSP oder Proporz-System nur Bahnhof versteht, sollte sich über das ABC des wichtigen Urnengangs hier schlau machen.

Am 20. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament. Wer bei den Worten panaschieren, CSP oder Proporz-System nur Bahnhof versteht, sollte sich über das ABC des wichtigen Urnengangs hier schlau machen.

National- und Ständeratsratswahlen 2019

Am 20. Oktober finden die eidgenössischen Parlamentswahlen in der Schweiz statt. Die insgesamt 200 Sitz im Nationalrat werden nach Anzahl Bevölkerung auf die Kantone verteilt und müssen neu gewählt werden. Auch die 46 Sitze des Ständerats werden neu vergeben.

BLICK bietet rund um die Uhr die aktuellsten Informationen zum Wahlkampf, der politischen Themenagenda der Parteien und Kandidaten, der Sitzverteilung im Parlament und den Wahlergebnissen.

Für die Ständeratswahlen sind die Kantone zuständig. Bei den Nationalratswahlen arbeiten Bund, Kantone und Gemeinden eng zusammen.

Am 20. Oktober finden die eidgenössischen Parlamentswahlen in der Schweiz statt. Die insgesamt 200 Sitz im Nationalrat werden nach Anzahl Bevölkerung auf die Kantone verteilt und müssen neu gewählt werden. Auch die 46 Sitze des Ständerats werden neu vergeben.

BLICK bietet rund um die Uhr die aktuellsten Informationen zum Wahlkampf, der politischen Themenagenda der Parteien und Kandidaten, der Sitzverteilung im Parlament und den Wahlergebnissen.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?