Nationalratspräsidentin Christa Markwalder
«Ich mache nicht Politik, um den Leuten zu gefallen»

Seit elf Monaten ist FDP-Politikerin Christa Markwalder (41) Nationalratspräsidentin. Warum sie für das Amt gute Nerven brauchte und wen sie ermahnte.
Publiziert: 02.10.2016 um 00:51 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 16:07 Uhr
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Christa Markwalder (41): «Das Präsidialjahr ist der Höhepunkt meiner politischen Karriere.»
Marcel Odermatt und Simon Marti

SonntagsBlick: Frau Markwalder, am Freitag beendeten Sie Ihre letzte Session als Nationalratspräsidentin. Sind Sie froh oder traurig?
Christa Markwalder:
Wenn ich das Amt Ende November meinem Nachfolger übergebe, werde ich sicher ein wehmütiges Gefühl haben. Das Jahr war spannend und ich habe den Rat sehr gerne geleitet.

Aber Hand aufs Herz: Die Streitereien mit Köppel und Co. haben schon genervt.
Für das Amt braucht man sicher gute Nerven. Wenn Kollegen nicht zum Thema redeten, zu lange Zwischenfragen stellten oder persönliche Angriffe lancierten, griff ich gelegentlich korrigierend ein. Denn ich habe mein Präsidialjahr unter das Motto «Respekt» gestellt und will dies auch vorleben.

SVP-Nationalrat Thomas Matter forderte seinen freisinnigen Ratskollegen Kurt Fluri öffentlich zum Rücktritt auf. Sie haben ihm darauf unter vier Augen Ihre Meinung gesagt. Warum?
Die politische Kultur in der Schweiz ist ein hohes Gut. Wir müssen ihr Sorge tragen. Es geht nicht an, dass ein Ratsmitglied ein anderes zum Rücktritt auffordert, weil er oder sie eine andere Meinung vertritt. Das kann man in einem bilateralen Gespräch klären.

Ihre Kammer hat eine grosse Verantwortung. Der National- ist wie der Ständerat Hüter der Verfassung. Finden Sie es richtig, dass die Masseneinwanderungs-Initiative so weit weg vom Verfassungsartikel umgesetzt wird?
Die Initiative ist in sich widersprüchlich. Was gewichtet man da am höchsten? Instrumente, welche die Zuwanderung steuern oder die Tatsache, dass die Personenfreizügigkeit schon dreimal in Volksabstimmungen angenommen wurde? Der Nationalrat hat hier klare Prioritäten zugunsten der bilateralen Verträge gesetzt. Weitere Volksabstimmungen werden eine Klärung der Lage bringen.

Christa Markwalder (41).
Foto: Daniel Kellenberger

Haben Sie kein Verständnis für den Frust vieler, die am 9. Februar 2014 mit Ja gestimmt haben?
Der Frust rührt auch daher, da erst nach der Abstimmung vielen Befürwortern klar wurde, dass die Initiative nicht tel quel umgesetzt werden kann. Schliesslich geht es hier auch um den Wohlstand unseres Landes. Die EU ist unser wichtigster Handelspartner. Setzen wir das bilaterale Verhältnis aufs Spiel, nehmen wir dadurch den Verlust von Wohlstand und Arbeitsplätzen in Kauf. Damit würden wir die Unzufriedenheit noch anfeuern.

Immer weniger Leute wollen, dass die Schweiz Mitglied der EU wird. Sie befürworten noch immer ­einen Beitritt. Warum haben Sie Ihre Meinung nie geändert, wie viele andere?
Ich stehe zu meinen Überzeugungen. Politischer Opportunismus führt irgendwann zu Populismus – und ich mache nicht Politik, um den Leuten zu gefallen. Die Schweiz ist ein Teil Europas. Natürlich ist die EU im Moment unpopulär wegen ihrer vielen Krisen. Aber ich sehe keine Alternative zur EU in Europa.

Werden Sie den Beitritt noch erleben?
Davon gehe ich aus, wenn ich sehe, wie schnell sich die Welt und mit ihr die Schweiz heute verändert.

2003 kamen Sie in den Nationalrat. Jetzt, 13 Jahre später, sind Sie erst 41. Was machen Sie nach dem Präsidialjahr?
Das sehe ich, wenn es vorbei ist. Ich plane nie lange im Voraus, sondern gehe mit offenen Augen durchs Leben und ergreife Chancen, die sich mir bieten.

Sie hören also nicht auf?
Ich bin im letzten Oktober für eine Legislatur von vier Jahren gewählt worden.

Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass Sie in den diplomatischen Dienst eintreten möchten.
Ich habe keine Ahnung, wer solche Gerüchte in die Welt setzt. Die parlamentarische Tätigkeit ist und bleibt für mich faszinierend.

Christa Markwalder (41): «Das Präsidialjahr ist der Höhepunkt meiner politischen Karriere.»
Foto: Daniel Kellenberger

Also auch kein Exekutivamt?
Nein, für ein Exekutivamt stehe ich nicht zur Verfügung. Mir liegt die parlamentarische Arbeit zu sehr am Herzen.

Ist es also doch ein Nachteil, so jung den politischen Zenit erreicht zu haben?
Ich sehe es als grossen Vorteil: Mit 60 Jahren hätte ich kaum so viel Energie, um das intensive Programm meines Amtsjahrs bewältigen zu können. Aber klar: Das Präsidialjahr ist der politische Höhepunkt meiner Karriere.

Was auffällt: Doris Leuthard, Simonetta Sommaruga, Sie. Viele Toppolitikerinnen sind kinderlos. Ist es für eine Frau auf dieser Stufe auch heutzutage noch schwierig, Karriere und Familie unter einen Hut zu bekommen?
Es ist generell leider immer noch schwierig, Beruf, Familie und Politik zu vereinbaren. Aber würden Sie auch einem kinderlosen Mann meinen Alters diese Frage stellen? Wohl kaum. Allerdings ist klar, dass ich mein Amt nicht derart intensiv hätte ausfüllen können, würden zu Hause Kinder warten.

Die Amerikaner könnten bald die erste Frau zur Präsidentin küren. Die Frage, wem Sie im Wahlkampf die Daumen drücken, ist wohl überflüssig ...
(Lacht) Oh ja, die Frage ist tatsächlich überflüssig.

Welche Folgen hätte eine Wahl Trumps für unser Land?
Er ist völlig unberechenbar, populistisch und isolationistisch – und will auf keine Berater hören. Undenkbar, was da auf uns zukäme!

Markwalder mit dem Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Paul Ryan (46).
Foto: SonntagsBlick

Sie haben vom Treffen mit Paul Ryan geschwärmt, Ihrem amerikanischen Amtskollegen. Er ist auch ein Produkt der Radikalisierung der amerikanischen Politik, namentlich der Republikaner.
Jetzt muss ich Paul Ryan aber verteidigen! Er ist ein Wertkonservativer, der für einen schlanken Staat und eine offene Handelspolitik einsteht. In unserem Gespräch erwähnte er Trump nie mit Namen. Das sagt vieles.

Trump ist ja nicht der einzige Populist, der für Furore sorgt: In Frankreich könnte im nächsten Jahr Marine Le Pen gewählt werden, Ende Jahr ist Norbert Hofer vielleicht schon österreichischer Bundespräsident ...
... oder schauen Sie auf die Erfolge der AfD in Deutschland. Mir machen auch Ungarn und Polen grosse Sorgen. Ich habe Budapest im Frühjahr besucht, nicht zuletzt, um meinen Amtskollegen und die Regierung daran zu erinnern, dass die Schweiz vor 60 Jahren Tausende ungarische Flüchtlinge aufnahm.

Heute baut Ungarn ­Zäune.
Ungarn provoziert und strapaziert die europäische Solidarität. Leider gerät das Modell der liberalen, aufgeklärten Demokratie zunehmend unter Druck – sowohl in alten wie in jungen Demokratien. Unsere Aufgabe ist klar: Wir müssen unsere Werte, unsere europäischen Werte, verteidigen.

Apropos Werte: Der Nationalrat hat denkbar knapp Ja gesagt zum Burkaverbot.
Zum Verhüllungsverbot. Das war ein knapper Mehrheitsentscheid des Nationalrats, der jetzt an den Ständerat geht. Vom Stichentscheid wurde ich verschont. Ein Burkaverbot repräsentiert jedoch nicht das Fundament unserer europäischen Werte. 

Fachfremd: Christa Markwalder über Themen, die mit Politik nichts zu tun haben.

Wo haben Sie auf Ihren Reisen in diesem Jahr am besten gegessen?
Das Mittagessen bei meinem Besuch in Luxemburg war exzellent – es liess sich von der feinen französischen Küche nicht unterscheiden.

Sie sind Raucherin. Wie hielten Sie die stundenlangen Debatten im ­Nationalrat aus?
Einstellungssache (lacht).

Sie kommen aus der kleinen Stadt Burgdorf. Was können Zürich, Genf oder Bern von diesem Städtchen lernen?
Pardon, wir sind eine Stadt, und erst noch älter als Bern (lacht). Von Burgdorf kann man einiges lernen – zum Beispiel als erste Fussgänger- und Velomodellstadt. Innovation liegt uns – gerade in der Medizinal- und Landwirtschaftstechnik.

Wo haben Sie auf Ihren Reisen in diesem Jahr am besten gegessen?
Das Mittagessen bei meinem Besuch in Luxemburg war exzellent – es liess sich von der feinen französischen Küche nicht unterscheiden.

Sie sind Raucherin. Wie hielten Sie die stundenlangen Debatten im ­Nationalrat aus?
Einstellungssache (lacht).

Sie kommen aus der kleinen Stadt Burgdorf. Was können Zürich, Genf oder Bern von diesem Städtchen lernen?
Pardon, wir sind eine Stadt, und erst noch älter als Bern (lacht). Von Burgdorf kann man einiges lernen – zum Beispiel als erste Fussgänger- und Velomodellstadt. Innovation liegt uns – gerade in der Medizinal- und Landwirtschaftstechnik.

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