Knall unter der Bundeshauskuppel: Der Bundesrat soll den umstrittenen Uno-Migrationspakt nicht unterschreiben. Das beschloss die Staatspolitische Kommission (SPK) des Nationalrats gestern überraschend. Und dies nicht zu knapp: Mit 15 zu 9 Stimmen sagte sie Nein zum Pakt.
Zünglein an der Waage spielten dabei FDP und CVP. Die beiden Parteien hatten sich bisher nicht gegen das Migrationspapier gestellt. Doch jetzt sagt der Präsident der SPK, FDP-Nationalrat Kurt Fluri (63), zu BLICK: «Ich habe diese Nein-Empfehlung kommen sehen. Auch wenn der Pakt rechtlich nicht bindend ist: Die Schweiz würde ihn musterschülerhaft umsetzen.» Andere Länder würden den Vertrag einfach unter den Tisch fallen lassen.
CVP-Pfister: «Es sind zu viele Punkte ungeklärt»
CVP-Präsident und SPK-Mitglied Gerhard Pfister (56) war bei der Abstimmung nicht anwesend. Der Zuger Nationalrat lässt einzig verlauten, dass er dem Pakt «skeptisch» gegenüberstehe. «Es sind zu viele Punkte ungeklärt. Die Souveränität der Schweiz darf nicht eingeschränkt werden.»
Da wird FDP-Mann Fluri deutlicher: Besonders störend sei in den Augen des Freisinns, dass der Pakt die Migration noch fördern wolle. «Zudem sollen Medien bestraft werden, die sich kritisch zur Migration äussern. Das darf die Schweiz nicht unterschreiben», sagt der Solothurner.
Worum geht es überhaupt? Ziel des Uno-Pakts ist eine bessere internationale Zusammenarbeit in der Migrationspolitik. Man will einheitliche Standards im Umgang mit Flüchtlingen. Eine Massnahme ist beispielsweise, Daten von Migranten zu erfassen und ihnen Ausweisdokumente auszustellen, sofern sie keine besitzen.
Die Staaten beabsichtigen zudem, gegen die Diskriminierung von Zuwanderern zu kämpfen und sich insbesondere um die Lage von Frauen und Kindern zu kümmern.
Die Schweiz hat aktiv an der Ausarbeitung mitgewirkt. Doch je näher das Unterzeichnungsdatum rückt, desto mehr Staaten stellen sich dagegen. Am 10. und 11. Dezember soll der Pakt bei einer ausserordentlichen Konferenz im marokkanischen Marrakesch besiegelt werden.
Folgt die Schweiz auf Österreich?
Bereits die Unterschrift verweigert haben die USA, Ungarn und Australien. Am Mittwoch folgte Österreich: Man befürchte den Verlust nationaler Souveränität, begründete Regierungschef Sebastian Kurz (32).
So hoffte die SVP, die sich als einzige Partei von Anfang an gegen den Pakt auflehnte, auf eine Signalwirkung. «In Staaten mit einer Mitte-rechts-Regierung wie Italien, Dänemark oder Polen, aber auch in Grossbritannien dürfte der Widerstand massiv zunehmen», sagte SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (39) noch am Mittwoch.
Und so freut sich jetzt SPK-Mitglied und SVP-Nationalrat Heinz Brand (63), dass er die Kommission überzeugen konnte. «Die Erwartung ist, dass der Bundesrat merkt, dass man nie hinter einer Unterzeichnung stehen kann und wird», sagt der Bündner. «Plötzlich wird der Pakt entgegen aller Zusagen bindend und künftige Gesetze müssen darauf abgestimmt werden.»
SP-Wermuth findet es «blamabel»
Bei der Ratslinken ist man ob des Meinungsumschwungs in Bern konsterniert. «Ich verstehe die Hysterie nicht. Das ist keine migrationspolitische Revolution! Die Umsetzung bleibt bei den Nationalstaaten», so SP-Nationalrat Cédric Wermuth (32).
Es sei «blamabel, wie der Freisinn und die CVP auf die Schaumschlägerei der Rechten Seite hereingefallen sind!» Die Schweiz stelle sich mit einem Nein auf die gleiche Stufe wie die «rechtsextreme FPÖ» in der Regierung von Österreich. «Wer diesen Pakt nicht will, will das Migrationsproblem nicht lösen, sondern damit Politik machen. Das ist nur noch zynisch», so Wermuth.
Und auch Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli (46) ist aufgebracht: «Die Gegner schüren mit falschen Behauptungen die Angst vor dem Pakt», sagt der Zürcher. Die Staaten könnten weiterhin die Definition von legaler oder illegaler Migration souverän entscheiden. Die SVP koche das Thema hoch, um daraus Kapital zu schlagen. «Was ich nicht verstehe ist, warum CVP- und FDP-Vertreter hier hintendrein spazieren», sagt Glättli.
Kurz vor der Unterzeichnerkonferenz werde sich laut Fluri der Nationalrat zum Pakt äussern können. Auch dort werden die kalten Füsse der CVP und FDP entscheidend sein.