Nationalrätin Kathrin Bertschy zur Sexismus-Debatte
«Wölfe sind wichtiger als ermordete Frauen»

GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy (BE) sieht eine «unterschwellige patriarchale Kultur» als Ursache für Sexismus. Der Bundesrat setze sich zu wenig für Frauenanliegen ein, kritisiert sie. Und das Parlament setze falsche Prioritäten.
Publiziert: 17.10.2016 um 10:05 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 17:32 Uhr
GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy: «Wir haben nach wie vor eine unterschwellige patriarchale Kultur, wo Anliegen und Rechte der Frauen verniedlicht, verharmlost oder gar tabuisiert werden.»
Foto: EQ Images

SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler (BE) löste mit ihrer Forderung nach milderen Strafen für Vergewaltiger, wenn das Opfer «mitschuldig» sei, eine Sexismus-Debatte aus.

Seither reden Frauen auf Twitter unter dem Hashtag #SchweizerAufschrei über sexistische Erfahrungen und Erlebnisse. Auch Parlamentarierinnen im Bundeshaus sind vom alltäglichen Sexismus betroffen. 

«Das Parlament debattiert lieber über Wölfe»

GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy (BE) ist Co-Präsidentin des Frauendachverbands Alliance F. Sie ortet klare Ursachen für den Sexismus: «Wir haben nach wie vor eine unterschwellige patriarchale Kultur, wo Anliegen und Rechte der Frauen verniedlicht, verharmlost oder gar tabuisiert werden. Das ist der Nährboden für den Sexismus, der derzeit diskutiert wird», sagt sie in einem in der «Aargauer Zeitung» und der «Südostschweiz» veröffentlichten Interview.

Alle zwei Wochen werde in der Schweiz eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet, so Bertschy. Darüber werde kaum gesprochen. Und wenn es in den Medien zum Thema werde, dann sei nicht die Rede von Mord, sondern von Familiendramen.

«Damit wird suggeriert, dass die Frau eine Mitschuld an ihrem Tod hat. Dabei wurde sie getötet, weil ein Mann nicht akzeptieren wollte, dass seine Frau ihm nicht gehorcht», meint Bertschy. «Doch darüber redet die Politik nicht. Das Parlament debattiert lieber über Wölfe, die ein paar Schafe gerissen haben.»

«Solch ein Wandel macht vielen Männern Angst»

Frauenthemen würden es nicht auf die politische Agenda schaffen. So habe der Nationalrat etwa das Thema der Lohnunterschiede zwischen Mann und Frau aus der Legislaturplanung streichen wollen. 

«Das Parlament will sich erst gar nicht damit befassen, denn sonst müsste man sich eingestehen, dass es das Problem gibt», erklärt Bertschy dazu.

Und: «Für viele Männer ist es unangenehm, Macht und Einfluss mit Frauen zu teilen. Sie wollen lieber ihr Kumpanei-System aufrechterhalten, als eine Kultur schaffen, wo Leistung belohnt wird. Solch ein Wandel macht nicht allen, aber vielen Männern Angst.»

Kritik am Bundesrat 

Die GLP-Frau kritisiert auch den Bundesrat, der sich in ihren Augen zu wenig für die Gleichstellung einsetzt. In anderen Staaten übernehme die Regierung ihre Verantwortung. So setze sich etwa Barack Obama in den USA für Lohngleichheit ein.

«Der Bundesrat setzt sich nicht für Frauenanliegen ein, wenn, dann überlässt er es den Bundesrätinnen», so Bertschy und nennt das Beispiel Lohngleichheit: «Simonetta Sommaruga hat Vorschläge gemacht und wurde dafür sofort angegriffen. Doch auch Alain Berset, er ist nämlich für die Gleichstellung verantwortlich, oder Johann Schneider-Ammann, er ist für die Fachkräfteinitiative verantwortlich, könnten sich des Themas stärker annehmen.»

Bürgerliche zu konservativ

Problematisch sei auch die konservative Haltung der bürgerlichen Parteien in Frauenfragen. «Wer Frauenanliegen vertritt, wird schnell in eine linke Feministinnen-Ecke gedrängt und als unglaubwürdig dargestellt», sagt Bertschy.

Sie habe sogar schon von Politikerinnen gehört, «denen geraten wird, Frauenthemen sein zu lassen, wenn sie Karriere machen möchten».

Bertschy hofft, dass nach der Sexismus-Debatte nun eine Diskussion über Frauenanliegen geführt werden könne. «Vielleicht hilft uns die Burkadebatte, welche die Rechte so gerne führt. Dabei geht es nämlich nicht nur um Kleidervorschriften, sondern auch um Frauenrechte.»(rus)

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