Ein Spionage-Skandal erschüttert die Schweiz! Jahrzehntelang sollen deutsche und US-amerikanische Geheimdienste andere Staaten ausspioniert haben. Und zwar mit Schweizer Hilfe! Die Zuger Herstellerin von Chiffriermaschinen, Crypto AG, soll sogar im Besitz des deutschen Bundesnachrichtendienstes und der CIA gewesen sein. So behauptet es ein Recherchekollektiv von SRF-«Rundschau», ZDF und «Washington Post».
Und das ist nicht alles: Der Schweizer Geheimdienst und gar die politisch Verantwortlichen seien eingeweiht gewesen, so die Recherche. Der Bundesrat hat daher den ehemaligen Bundesrichter Niklaus Oberholzer (66) mit einer Untersuchung beauftragt.
Name des FDP-Bundesrats in CIA-Dokument
Die grosse Frage ist dabei: Was wusste der Bundesrat? Gemäss «Rundschau» sticht ein prominenter Schweizer Name besonders hervor: Derjenige von alt Bundesrat Kaspar Villiger (79). Der FDP-Mann war von 1989 bis 1995 Chef des Eidgenössischen Militärdepartements – also dann, als die Verhaftung des mittlerweile verstorbenen Crypto-Mitarbeiters Hans Bühler im Iran für Schlagzeilen sorgte.
Villigers Name taucht zudem in einem CIA-Dokument auf. Demnach habe der FDP-Bundesrat 1994 gewusst, dass die Crypto AG unter anderem der CIA gehörte. «Villiger wusste, wem das Unternehmen gehörte, und fühlte sich moralisch verpflichtet, dies offenzulegen», heisst es im CIA-Papier. Doch Villiger habe nichts unternommen: «Offensichtlich hat Villiger den Mund gehalten.»
Villiger: «Ich war nicht eingeweiht»
Villiger bestreitet gegenüber der «Rundschau» die Vorwürfe. Auf BLICK-Anfrage schreibt der frühere FDP-Bundesrat in einer Stellungnahme: «Ich war in diese nachrichtendienstliche Operation nicht eingeweiht.» Und weiter: «Handlangerdienste für Drittstaaten, die den Ruf der Schweiz als verlässlich neutrales Land beschädigen können, hätte ich niemals gedeckt und auf jeden Fall im Bundesrat zur Sprache gebracht.»
Solche Handlangerdienste seien «politisch nicht tolerierbar» und würden «das Vertrauen in die Neutralitätspolitik unterminieren», so Villiger. Dem Bundesrat eine solche Angelegenheit zu verheimlichen «hätte auch meinen staatspolitischen Überzeugungen widersprochen, wesentliche Entscheidungsgrundlagen dem Kollegium nicht offenzulegen».
Er könne sich die CIA-Notizen zu seiner Person nicht erklären, sagt Villiger. Und: «Sie stimmen in dieser Form nicht, denn eine detaillierte Information über die neutralitätspolitisch problematische Übungsanlage hätte mich alarmiert und zur Information des Bundesrates veranlasst.»
Allerdings schliesst Villiger nicht aus, dass der Schweizer Geheimdienst über die Operation im Bilde war. «Ich muss davon ausgehen, dass ich während meiner Amtszeit nicht hinreichend informiert worden bin», so Villiger.
Namentlich genannt wird im CIA-Dokument aber nicht nur Villiger, sondern auch der frühere Zuger FDP-Nationalrat Georg Stucky (89), der von 1992 bis 2016 im Verwaltungsrat der Crypto AG sass. Stucky sei vom Crypto-CEO über die Spionage-Operation informiert worden, so das Papier. Gegenüber der «Rundschau» lässt dieser ausrichten: «An so etwas kann ich mich nicht erinnern.»
Mitwisser im Schweizer Geheimdienst
Klar scheint mittlerweile: Innerhalb des Schweizer Geheimdienst gab es offenbar Mitwisser, wie die «Rundschau» erhärten konnte. Dies würden mehrere voneinander unabhängige Quellen bestätigen.
Laut dem CIA-Papier halfen Schweizer Geheimdienstler in den 1990er-Jahren sogar tatkräftig mit, Ermittlungen gegen die Crypto AG abzuwenden. Damals hatten mehrere Crypto-Mitarbeiter vor der Bundespolizei (Bupo) ausgesagt und den Verdacht auf manipulierte Geräte geäussert. Doch Geheimdienstmitarbeiter hätten die Untersuchung beeinflusst, so dass die Vorabklärungen im Sand verliefen.
Allerdings hätten die damaligen Bupo-Verantwortlichen den wahren Verhältnissen bei der Crypto AG auch nicht wirklich auf die Spur kommen wollen: «Sie schienen nicht sehr gut hinzuschauen», heisst es im CIA-Papier.
Der damalige Bupo-Chef Urs von Daeniken schreibt der «Rundschau»: «Von einer Operation hatte die Bupo keine Kenntnis. Es ergaben sich keine konkreten Verdachtsmomente für ein strafbares Verhalten und damit die Eröffnung eines Strafverfahrens.»
Der damalige Chef des militärischen Nachrichtendienstes, Peter Regli, will sich auf Anfrage nicht zum Thema äussern.
Parteien fordern lückenlose Aufklärung
Allerdings dürften die damaligen Verantwortlichen noch einige Fragen beantworten müssen. So fordern auch die Parteien eine lückenlose Aufklärung. Allenfalls könnte sogar eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) mehr Licht ins Dunkel bringen. (rus)