Nahrungsmittel-Spekulation
«Es sterben Tausende Kinder»

Heiner Flassbeck kämpft für die Volksinitiative für ein Verbot der Nahrungsmittelspekulation der Juso. Im Interview mit BLICK erklärt der Ökonom seine Gründe.
Publiziert: 26.01.2016 um 21:08 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 01:15 Uhr
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Heiner Flassbeck, langjähriger Chef-Volkswirt der Uno-Organisation für Welthandel und Entwicklung, kämpft für die Juso-Initiative.
Foto: Keystone
Interview: Christof Vuille

Die Volksinitiative für ein Verbot der Nahrungsmittelspekulation findet neben der Durchsetzungs-Initiative und dem Streit um eine zweite Gotthardröhre wenig Beachtung. Dies dürfte sich radikal ändern, sollte sich am 28. Februar eine Mehrheit für das Volksbegehren aussprechen. Das ist möglich – gemäss SRG-Umfrage haben die Befürworter die Nase vorn.

Der prominenteste von ihnen ist Heiner Flassbeck (65). Der deutsche Ökonom war von 2003 bis 2012 Chef-Volkswirt der Uno-Organi­sation für Welthandel und Entwicklung. Zuvor arbeitete er als Finanzexperte im Kabinett des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Im BLICK-Interview sagt er, was ihn antreibt und warum er den Jungsozialisten zu einem Erfolg verhelfen will.

BLICK: Herr Flassbeck, warum mischen Sie sich als Deutscher, der in Frankreich lebt, in unsere Innen­politik ein?
Heiner Flassbeck:
Ich wohne bei Genf, ein paar Hundert Meter von der Grenze entfernt, und gehe mit meinem Terrier jeden Morgen in der Schweiz spazieren. Da ich zwölf Jahre in Genf bei der Uno gearbeitet habe, kenne ich das Land auch sehr gut und fühle mich ihm verbunden. Wenn ich mich einmische, geht es mir immer darum, den Status quo zu verbessern.

Die Initiative will eine nationale Regulierung für einen globalen Markt. Das bringt doch nichts.
Die Diskussion wird nicht nur hier geführt. Ich habe sie in die G-20 getragen, und auch am Uno-Sitz in New York ist man für das Thema sensibilisiert. In Deutschland hat sich die Commerzbank aus dem Geschäft zurückgezogen, die USA und die EU haben Gesetze gegen die Finanzialisierung der Märkte gemacht. Sollte die Schweiz der schädlichen Spekulation nun einen Riegel schieben, hätte das weltweit eine riesige Signalwirkung. Hinzu kommt, dass Ihr Land im Bereich der Geldverwaltung noch immer ein sehr wichtiger Player ist und so auch weltweit Einfluss hat.

Und ausgerechnet dieser erfolgreiche Player soll nun die freie Marktwirtschaft einschränken. Was haben Sie gegen Spekulanten?
Der Begriff des Spekulanten ist vielleicht suboptimal. Es gibt nichts einzuwenden gegen Spekulation, die Nahrungsmittelproduzenten Sicherheit gibt. In diesem Fall vereinbart der Bauer einen fixen Preis mit dem Händler, zu dem er seine Ware zu einem späteren Zeitpunkt verkauft. Vor rund zehn Jahren tauchte aber das Phänomen auf, dass reine Finanzplayer auf steigende Preise wetteten. Es waren mehrere Hundert Milliarden Franken im Spiel. Das trieb die Preise logischerweise massiv in die Höhe.

Die Gegner argumentieren, dass für Preissprünge primär Dürren, Überschwemmungen oder Kälte verantwortlich seien.
Das behauptet auch Bundespräsident Johann Schneider-Ammann. Doch damit stellt er sich gegen die Realität. Zu behaupten, dass es keinen Einfluss auf den Preis hat, wenn derartige Summen auf Preissteigerungen gesetzt werden, ist absurd.

Eine Metastudie gibt ihm allerdings recht. Die Wissenschaft stützt Ihre These nicht.
Wir sprechen von einer Studie über Studien – so etwas als Grundlage für seine Argumentation zu benutzen, ist nicht seriös. Die einzelnen Studien lassen sich kaum vergleichen, und viele stammen aus der Zeit vor 2010. Hinzu kommt, dass viele Autoren aufgrund einer neoliberalen Grundhaltung den freien Markt bis zum letzten Atemzug zu verteidigen versuchen. Insofern hat der Bundesrat seine Position basierend auf falschen Fakten und wenig Fachwissen fest­gelegt. Ich bin enttäuscht, dass er sich im Vorfeld nicht an kritische Ökonomen gewandt hat. Ich hätte gerne geholfen. Schneider-Ammann weiss es wohl schlicht nicht besser, aber dann muss man sich beraten lassen.

Fakt ist doch, dass die Preise für Grundnahrungsmittel seit Jahren einigermassen stabil geblieben sind.
Die Rohstoffblase platzte nach der Finanzkrise, doch es gab auch nach 2010 nochmal eine Phase mit hohen Preisen. Seit zwei, drei Jahren gibt es aber weniger Finanzhändler in diesem Bereich.

Der Markt hat also funktioniert, wenn auch mit etwas Verzögerung.
Was Sie Verzögerung nennen, kostete Menschenleben. Wenn der Preis für Weizen, Mais oder Soja über Jahre von Spekulanten hochgetrieben wird, sterben Tausende von Kindern, weil sich Familien das Essen nicht mehr leisten können. Der Mechanismus ist ähnlich wie beim starken Franken. Die Nationalbank musste in den letzten Jahren intervenieren, sonst wäre die hiesige Industrie heute tot.

Die bürgerlichen Gegner des Anliegens sehen zahlreiche Arbeitsplätze in der Schweiz in Gefahr. Kümmert Sie das nicht?
Das ist einfach nicht richtig, weil niemand den normalen Rohstoffhandel verbieten will. Und die Banken haben die Bereiche ohnehin schon sehr verdünnt.

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