Ende November ist Schluss: Paul Rechsteiner (66) tritt nach 20 Jahren an der Spitze des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) zurück. Langsam, aber sicher zeichnet sich seine Nachfolge ab. Die beiden SP-Politiker Barbara Gysi (54) und Pierre-Yves Maillard (50) haben nicht nur offiziell Interesse am Amt angemeldet. Beide wurden auch von einer Gewerkschaft nominiert.
Maillard darf auf die Unterstützung der Unia, der mit Abstand grössten Schweizer Gewerkschaft, zählen. Am Dienstag nominierte diese den Waadtländer Regierungsrat für die Nachfolge von Rechsteiner.
Barbara Gysi zog nach der Anhörung den Kürzeren. Doch sie gibt sich noch nicht geschlagen. Denn sie hat die Unterstützung des Personalverbandes der Bundesverwaltung und -Betriebe (PVB). Kein Wunder: Sie präsidiert den Verband.
Maillards Coup bei den Unternehmenssteuern
Maillard ist ein alter politischer Fuchs. In den 90er-Jahren politisierte er auf kommunaler und kantonaler Ebene in Lausanne und Waadt. Zwischen 1999 und 2004 war er als Nationalrat aktiv. Seit 2004 sitzt er in der Waadtländer Kantonsregierung, wo er das Gesundheitsdepartement führt. 2011 unterlag er gegen seinen Parteigenossen Alain Berset (46) im Rennen um den Bundesratssitz.
Eine schmerzliche Niederlage, die aber einem grossen politischen Erfolg gegenübersteht: Maillard gelang ein Coup, indem er einen schweizweit einzigartigen Kompromiss einfädelte. Der Kanton Waadt setzt die neue Unternehmenssteuerreform bereits um, obwohl diese national noch mächtig umstritten ist. Waadt kann die Unternehmenssteuern deshalb gemäss OECD-Vorgaben anpassen, weil der Kanton die soziale Abfederung bereits geregelt hat. Die Steuerprivilegien für Firmen sollen mit höheren Prämienverbilligungen kompensiert werden.
Der Lausanner ist auch gewerkschaftlich kein unbeschriebenes Blatt. In jungen Jahren war er Gewerkschaftssekretär und auch heute ist er noch aktives Unia-Mitglied. Die Gewerkschaft sichert Maillard nun die Unterstützung zu. Damit ist dem Staatsrat der rote Teppich ins SGB-Präsidium bereits ausgerollt. Allein sein Geschlecht könnte ihm noch einen Strich durch die Rechnung machen.
Gysi setzt auf die Frauenkarte
Denn die Gewerkschaften würden gern eine Frau portieren. Das weiss auch Herausforderin Gysi – und nutzt diesen Vorteil. Die Zeit für eine Frau an der Spitze des SGB sei gekommen, sagt sie. Denn: «Eine SGB-Präsidentin tritt bei Frauenthemen anders auf als ein Präsident», so Gysi zur «Berner Zeitung». Und macht diese Forderung zum Programm. Der Frauenanteil in den Gewerkschaften müsse steigen, Frauenthemen prominenter vertreten werden.
Auch Gysi wirft viel gewerkschaftliche und politische Erfahrung in den Ring. Seit 2011 sitzt sie im Nationalrat – treffenderweise ersetzte sie damals Paul Rechsteiner in der grossen Kammer, nachdem dieser überraschend in den Ständerat einzog.
Tag der Wahrheit am 30. November
Gegen Gysi spricht ihre Herkunft – wie Rechsteiner ist auch sie St. Gallerin – und die Tatsache, dass die Unia Maillard unterstützt.
Beide Kandidaten wollen in den kommenden Wochen und Monaten verschiedene Gespräche mit den einzelnen Gewerkschaften führen und auf Stimmenfang gehen.
SEV und VPOD noch unentschlossen
Die Gewerkschaft des Verkehrspersonal (SEV) hält sich auf Anfrage noch bedeckt. Er habe noch nicht entschieden, wem die Unterstützung zu kommt.
Ebenfalls noch unentschlossen ist der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD). Dessen Präsidentin Katharina Prelicz-Huber (58) erklärt, dass die Delegierten des VPOD Ende September entscheiden, ob sie Maillard oder Gysi unterstützen oder eine weitere Kandidatur nominieren.
Denn auch die Tessiner SP-Nationalrätin Marina Carobbio (52) hat ihr Interesse angemeldet. Auch sie müsse man auf der Rechnung haben, meint Perlicz-Huber.
Tag der Wahrheit ist der 30. November: Dann wählen die Delegierten am SGB-Kongress den neuen Chef – oder die neue Präsidentin.