Was für eine Zitterpartie! Mit 51,2 Prozent sagt die Schweiz Ja zum Burkaverbot. Die anfangs hohe Zustimmung bröckelte so stark, dass die Initiative an der Urne fast Schiffbruch erlitten hätte. Doch eben nur fast.
Nach dem Minarettverbot von 2009 ist es bereits der zweite Abstimmungserfolg für das Egerkinger Komitee um SVP-Nationalrat Walter Wobmann (63). Das Verbot bringe Klarheit, freute sich dieser. Nun gebe es endlich eine schweizweit einheitliche Regelung.
26 Regelungen statt nur einer
So sicher ist das allerdings nicht. Jetzt geht es um die genaue Umsetzung des Verbots – und da bricht bereits der nächste Streit vom Zaun.
Für Justizministerin Karin Keller-Sutter (57) ist klar: Nun sind die Kantone an der Reihe. «Die Kantone sind jetzt verpflichtet, die neue Verfassungsbestimmung umzusetzen», sagte sie. Beispielsweise haben sie die Ausnahmen präzise zu definieren und Sanktionen festzulegen. Die Initiative setzt ihnen dazu eine Frist von zwei Jahren. Trotz nationalen Burkaverbots soll es also keine landesweit einheitliche Regelung geben – sondern 26 Umsetzungsgesetze, die sich von Kanton zu Kanton unterscheiden können. Denn die Polizeihoheit liege bei den Kantonen, erklärte Keller-Sutter.
Kantone sträuben sich
Die Kantone sehen das aber anders. Wie BLICK-Recherchen zeigen, sträubt sich so manch ein Kanton sogar dagegen, nun das Zepter in die Hand zu nehmen. Schliesslich sind ähnliche Initiativen und Vorstösse bisher in fast allen Kantonen abgelehnt worden. Einzig in St. Gallen und im Tessin fanden sie Anklang. In Basel-Stadt hatte das Parlament ein Vermummungsverbot 2013 sogar für rechtlich unzulässig erklärt.
Der Kanton Waadt teilt auf Anfrage klipp und klar mit: Der nun vom Volk angenommene «Verfassungsartikel überträgt den Kantonen keine Kompetenzen, sondern führt ein schweizweites Vermummungsverbot ein».
Bern würde Bundeslösung bevorzugen
Auch der Kanton Bern legt Protest ein. Die Haltung des Bundesrats könne rechtlich zwar vertreten werden, er sei aber «nicht zielführend». Es liessen sich sowohl für eine Umsetzung durch die Kantone wie auch durch den Bund Argumente finden, so Florian Hirte, von der Berner Sicherheitsdirektion. Eine Umsetzung durch den Bund sei aber zu bevorzugen, denn sie führte zweifelsfrei «zu einer einheitlicheren Umsetzung» – statt zu einem löchrigen Burkaverbots-Flickenteppich, wie ihn nun viele befürchten.
Im Tessin, das ja bereits ein Burkaverbot kennt, nimmt man Bundesbern ebenfalls in die Pflicht. Staatsrat Norman Gobbi (43, Lega) spricht auf Anfrage von BLICK von einem «Bundesgesetz», das es zur Umsetzung der Verfassungsänderung braucht. Das Ganze sei darum «eine Angelegenheit des Bundes».
Im Gegensatz dazu akzeptiert St. Gallen, dass jetzt kantonale Gesetze gefragt sind – wenn auch zähneknirschend. Das St. Galler Justiz- und Sicherheitsdepartement will sich aber «explizit nicht» zur «Sinnhaftigkeit» von 26 Umsetzungsgesetzen äussern. Weil das nationale Burkaverbot viel restriktiver formuliert ist als jenes des Ostschweizer Kantons, hat dieser nun sein Verhüllungsverbot zu verschärfen.
Auch Experten sind sich uneinig
Selbst die Experten sind uneinig, wie es jetzt weitergehen muss. Für Staatsrechtsprofessor Markus Schefer (56) von der Uni Basel ist klar, dass die Kantone am Zug sind: «Die Kompetenzordnung der Bundesverfassung gilt, die kann man nicht verhandeln», sagt er. Dass es so 26 unterschiedliche Regelungen geben wird, sei kein Argument. «Das ist beim Föderalismus immer so. Ein Tourismuskanton hat zudem eventuell ein Interesse daran, die Ausnahmen etwas anders zu definieren als andere Kantone», erklärt er.
Die Freiburger Staatsrechtlerin Eva Maria Belser (50) hält ein Bundesgesetz hingegen je nach Auslegung für möglich. «Wenn der Bundesgesetzgeber die Initiative selbst umsetzen möchte, könnte er sich allenfalls auf seine Kompetenz im Bereich des Strafrechts stützen», meint sie. «Er könnte also eine Verhüllungsstrafnorm schaffen und in diesem Rahmen die Ausnahmen regeln.» Doch der Bundesrat hat klar zum Ausdruck gebracht: Das will er nicht.
Initianten haben sich nicht mit Umsetzung befasst
Laut Schefer hätten die Initianten dafür sorgen können, dass es nur eine und nicht 26 Regelungen gibt: Mit einem Passus in der Initiative, dass der Bund für die Umsetzungsgesetzgebung zuständig ist.
Doch warum haben das die Initianten nicht getan? SVP-Nationalrat Walter Wobmann (63), Kopf des Egerkinger Komitees, das die Volksinitiative lanciert hat, weiss keine Antwort. Seit der Lancierung vor fünf Jahren hat sich der Solothurner offensichtlich noch nie vertieft mit der Frage auseinandergesetzt, was passiert, sollte seine Initiative tatsächlich angenommen werden.
«Das kann nicht sein!»
«Mir wäre neu, dass nur die Kantone zuständig sind. Das kann nicht sein!», regt er sich auf. «Dann hätten wir die Initiative ja gar nicht gebraucht!» Aus seiner Sicht ist ein Bundesgesetz unabdingbar, um zu verhindern, dass am Schluss in jedem Kanton etwas anderes gilt. Der SVPler wirft dem Bund nun vor, die Initiative nicht umsetzen zu wollen.
Die Reaktionen der Kantone zeigen jedoch: Auch bei ihnen hält sich die Lust dazu in Grenzen.