Das Bistum Basel veröffentlichte am Dienstag aktuelle Zahlen dazu. Seit September 2023 gingen in der Diözese demnach 92 Meldungen ein. In der gesamten bisher 13-jährigen Amtszeit von Bischof Felix Gmür waren es 183 Meldungen. Teilweise beinhalteten die neuen Meldungen auch Nachfragen zu bereits früher gemeldeten Vorfällen.
In anderen Bistümern führte die Veröffentlichung der Pilotstudie nicht zu einer derart grossen Zahl von Meldungen, wie die Nachrichtenagentur Keystone-SDA auf Anfrage erfuhr. Insgesamt meldeten vier Bistümern knapp 70 mutmassliche Opfer. Nicht mitgezählt ist das Bistum Lugano, das die Zahlen am Mittwoch bekannt geben wird.
Meldungen haben deutlich zugenommen
Im Bistum Chur wandten sich 21 Opfer sexuellen Missbrauchs an das diözesane Fachgremium oder direkt an Bischof Joseph Maria Bonnemain. Dabei handelte es sich um Annäherungsversuche bis hin zu Vergewaltigungen. Fast alle Fälle lagen in der Vergangenheit - gelegentlich bis zu 70 Jahre. Ein Fall war aktuell. Bonnemain ist in der Kirche für die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle zuständig.
Seit der Studienpublikation hätten die gemeldeten Fälle deutlich zugenommen, hiess es beim Bistum St. Gallen. Das Fachgremium führte über zwei Dutzend Gespräche und leitete 16 Fälle an den nationalen Genugtuungsfonds zwecks Entschädigung weiter. Die Mehrzahl betraf sexuelle Übergriffe im Kinder- und Jugendalter, ein geringerer Teil Erwachsene bei der Seelsorge. Die Verbrechen lagen mehr als zwei Jahrzehnte zurück und ereigneten sich in Kinderheimen, gegenüber Ministranten oder beim Religionsunterricht.
Das Bistum Lausanne-Genf-Freiburg registrierte 14 neue Meldungen seit der Studie. Opfer waren acht Frauen und sechs Männer. Bei den Taten handelte es sich um physische und verbale sexuelle Übergriffe bis hin zu Fotografien nackter Kinder. In Sitten meldeten sich sieben Opfer nach der Publikation der Studie. 2023 waren es insgesamt zehn neue Fälle, wie das Fachgremium "Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld" mitteilte. Auf eine Meldung trat das Gremium nicht ein, da sie von einer Drittperson stammte und nähere Angaben fehlten. Die Untersuchungen des Fachgremiums laufen.
Die Schweizerische Bischofskonferenz (SBK) verzeichnete keine Meldungen. Die Zentren dafür sind die Bistümer, wie sie mitteilte. Die Konferenz kündigte die Schaffung nationaler Zentren pro Landessprache an, ein Projekt, das angelaufen ist.
Reformierte Kirche plant Vorstudie
Die Missbrauchsstudie blieb nicht folgenlos auch für die Evangelisch-reformierte Kirche in der Schweiz. Sie führt keine Statistik über Missbrauchsfälle, arbeitet Missbrauch den Angaben zufolge aber seit Jahren sorgfältig auf. Die Evangelisch-reformierte Kirche fordert Opfer ausdrücklich zu Anzeigen auf. Aktuell planen die Verantwortlichen eine Vorstudie über Missbräuche. Auch die Reformierten verzeichneten nach der Studie einen gewissen Anstieg der Austritte. Bei den Katholiken resultierte eine beispiellose Welle.
Die sechs Schweizer Bistümer unterhalten Anlaufstellen für Opfer. Zudem gibt es kirchenunabhängige Institutionen für Missbrauchsopfer, etwa die Westschweizer Selbsthilfegruppe für Betroffene sexuellen Missbrauchs (Sapec) oder die IG Miku, die Interessengemeinschaft für Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld.
Die Bistümer bieten den Betroffenen Unterstützung, Begleitung und Genugtuung an. Liegen mutmassliche Straftaten vor, sind die Bischöfe zu einer Anzeige verpflichtet, selbst wenn die Tat verjährt ist. Die Anzeige unterbleibt nur, wenn der mutmassliche Täter bereits tot ist. Das Kirchenrecht kennt keine Verjährung. Selbst Jahrzehnte nach einem Missbrauch kann die Kirche noch Massnahmen wie Berufsverbote verhängen.
Die Studie der Universität Zürich vom September 2023 zeigte, dass Priester und Ordensangehörige in der Schweiz seit 1950 über 1000 Fälle von sexuellem Missbrauch begangen hatten - bei hoher Dunkelziffer. Seit Anfang Jahr ist eine zweite Studie in Arbeit. Die Resultate sollen 2027 präsentiert werden.
(SDA)