Pierre Krähenbühl (51) hat den Drang, zu reden. Klipp und klar: «Nein, das dulde ich nicht. Gar nicht!»
Das?
Es geht um ungeheure Vorwürfe gegen das Uno-Hilfswerk, das der Schweizer Diplomat seit 2014 führt. «Uno-Lehrer finden Hitler toll», titelte die «SonntagsZeitung» im Februar.
Mitarbeiter des Uno-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) sollen auf Facebook antisemitische Inhalte veröffentlichen. Darunter Bilder und Texte, in denen Hitler bewundert wird. Aufgedeckt hat dies die unabhängige Organisation UN Watch.
Im perfekt sitzenden Anzug steht Krähenbühl im Kursaal der Stadt Bern. «Bei UNRWA gibt es keinen Antisemitismus», sagt er. «Die Israelis finden unsere Arbeit sehr wichtig, ich sitze regelmässig mit israelischen Generälen zusammen.» Es sei keineswegs so, dass er nur Israel für die schwierige Situation der Palästinenser zur Verantwortung ziehe. Untragbar sei auch, dass Palästinenser im Libanon kaum arbeiten dürften.
Das Hilfswerk wurde 1949 von der Uno gegründet, um palästinensischen Flüchtlingen zu helfen. Heute betreut es fünf Millionen Menschen in Jordanien, Syrien, im Libanon, im Westjordanland, in Gaza. Eine Lösung für ihr Schicksal ist nicht in Sicht.
Neutralität ist der Schlüssel seiner Arbeit
Zusätzlich heizt nun der Bericht von UN Watch das Klima an. «Eine gründliche Untersuchung», verspricht daher Krähenbühl, ein selbstbewusster, besonnener Mann.
Die Hälfte der 40 beanstandeten Facebook-Posts stamme nicht von UNRWA-Personal. Aber: «Sollte es sich bestätigen, dass Kollegen von uns Bilder von Hitler oder antisemitische Kommentare publiziert haben, werde ich knallhart durchgreifen, bis zu Entlassungen.»
Es gehe nicht, «dass 0,5 Prozent eine Organisation mit 30'000 Personen in Verruf bringen». Neutralität ist der Schlüssel seiner Arbeit. «Wir trainieren jährlich Tausende von Mitarbeitern, neutral zu sein.»
Ist es im Konflikt, in dem keiner neutral scheint, überhaupt möglich, neutral zu sein? «Niemand kam neutral zur Welt, auch ich nicht», so Krähenbühl, ein Genfer, der jahrelang für das IKRK in den schlimmsten Regionen der Welt unterwegs war. «Als ich Gefängnisse besuchte, wo Menschen gefoltert wurden, war mein letzter Gedanke, bin ich jetzt neutral?»
Als UNRWA-Kommissar müsse er «absolut neutral» sein, so Krähenbühl. Umso schlimmer ist der Vorwurf, das Hilfswerk verstecke in ihren Schulen für die Terrororganisation Hamas Waffen. Ist es wahr? «Diese Frage können Sie mir nur stellen, weil ich die Welt darüber informiert habe», sagt der Diplomat. «Nicht Israelis, nicht Palästinenser – sondern wir!»
Ein Volk, das niemand will
Während des Gaza-Kriegs im Sommer 2014 seien sieben Schulen der UNRWA von israelischen Streitkräften beschossen worden. In drei Schulen hätten Palästinenser Waffenbestandteile gelagert. Nicht geklärt sei, ob sie Hamas gehörten. «Das haben wir sofort publik gemacht», so Krähenbühl. «Die Israelis wissen und schätzen das.»
Für ihn ist klar: «Ob Israelis nun Schulen beschiessen oder Palästinenser sie als Waffendepot missbrauchen – das humanitäre Völkerrecht wird immer verletzt.»
Krähenbühl kümmert sich um ein Volk, das niemand will. «Mir hat der Generalsekretär der Uno einmal gesagt, ich hätte den schwierigsten Job der Welt – ich antwortete ihm: ‹Den haben Sie.›»
Seine Arbeit sei «eine grosse Herausforderung, weil das Umfeld so polarisiert ist», sagt Krähenbühl. «Aber ich nehme mich lieber schwierigen Situationen an als einfachen.»
Er ist ein globaler Nomade, hat eine Wohnung in Jerusalem, verbringt viele Nächte in Gaza, reist oft nach New York, um Geld aufzutreiben. Seine Familie lebt in der Schweiz. «Woher ich komme, ist mir klar, aber wo ich zu Hause bin, weiss ich nicht jeden Tag.»
Er hofft, dass «die Menschen die Menschlichkeit wiederentdecken», sagt Krähenbühl. «Derzeit ist man entweder Pro oder Kontra.» Die Situation im Nahen Osten sei verfahrener denn je. «Früher kannten sich Israelis und Palästinenser, heute gibt es kaum mehr Kontakte zwischen israelischer und palästinensischer Jugend. »
Aufgeben will er nicht. «Erlebe ich Kinder, wie sie täglich etwas lernen, damit sie eine bessere Zukunft haben, lohnt es sich, am Morgen aufzustehen.»