Nach klarem Nein pocht Wirtschaft auf mehr Öffnung
Der Bauernkrieg kommt erst noch

Das wuchtige Nein zu den beiden Agrar-Initiativen lässt den Spielraum für mehr Agrarfreihandel offen. Die Wirtschaft erwartet von den Bauern mehr Entgegenkommen. Diese wollen ihre Pfründe aber verteidigen.
Publiziert: 24.09.2018 um 21:13 Uhr
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Aktualisiert: 25.09.2018 um 06:38 Uhr
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Die Gegner der beiden Agrar-Initiativen warnten auf ihren Nein-Plakaten vor höheren Preisen. Und drangen damit durch. Die Initiativen wurden wuchtig abgelehnt.
Foto: Keystone
Ruedi Studer und Lea Hartmann

Es war ein Stich ins Wespennest: Nur zwei Wochen vor der Abstimmung über die beiden Agrar-Initiativen präsentierte die liberale Denkfabrik Avenir Suisse einen radikalen Reformplan für die Schweizer Landwirtschaft. Schluss mit Subventionen, runter mit den Zöllen, mehr Agrarfreihandel – so das Credo. 

Ein Ja zu den beiden Initiativen hätte die liberalen Reformvorschläge vom Tisch gefegt. Doch die Öffnungsfans konnten gestern aufatmen: Die Fair-Food-Initiative der Grünen lehnt das Stimmvolk mit 61,3 Prozent Nein deutlich ab. Noch wuchtiger ist das Nein zur Ernährungssouveränitäts-Initiative der Bauerngewerkschaft Uniterre mit 68,4 Prozent. Einzig die welschen Kantone Genf, Waadt, Jura und Neuenburg stimmten den beiden Volksbegehren zu.

«Deutliches Signal für mehr Öffnung»

Umso mehr zeigt sich Avenir-Suisse-Direktor Peter Grünenfelder (51) über das Resultat erfreut: «Der Reformbedarf in der Agrarpolitik ist offenkundig», sagt er zu BLICK. Grünenfelder spürt Rückenwind. «Die Bevölkerung hat genug von der bisherigen Pflästerlipolitik und will nicht noch mehr Bevormundung. Das deutliche Nein ist ein klares Signal für mehr Marktöffnung.»

Auch Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl (54) verlangt von den Bauern nun Entgegenkommen: «Wir erwarten von den Schweizer Bauern, dass sie Hand bieten zu neuen Freihandelsabkommen, die die Schweizer Exportindustrie dringend braucht.» Dabei geht es ihr um «ein bisschen weniger Grenzschutz auf ausgewählte Produkte, nicht auf alles».

Ansonsten sieht sie die bisherige Landwirtschaftspolitik aber bestätigt. «Die Bevölkerung ist zufrieden mit der Agrarpolitik, so wie sie jetzt ist», sagt Rühl. Und diese solle auch weitergeführt werden. «Bauern brauchen längerfristige Planungssicherheit, und das möchten wir nicht infrage stellen.»

Schneider-Ammann sieht kein Nein zum Freihandel

Ebenfalls nur halbwegs positive Nachrichten hat Bundesrat Johann Schneider-Ammann (66) für die Bauern. Das Abstimmungsergebnis sei «ein klares Zeichen der Unterstützung der Bürger für die heutige Landwirtschaftspolitik», resümierte der Wirtschaftsminister.

Was den Freihandel betrifft, liess er sich aber nicht zu weit auf die Äste hinaus. Das doppelte Nein sei zwar kein Freipass für die Verhandlungen. «Die Freihandelspolitik ist damit auf keinen Fall noch freier geworden», so der FDP-Magistrat.

Doch gleichzeitig liess er bei den Bauern die Alarmglocken läuten. Seiner Freihandelspolitik sei «kein Riegel geschoben» worden, so Schneider-Ammann. Und er machte klar, dass er diese «zugunsten unserer Wertschöpfung und unserer Jobs hier im Lande konsequent weiterführen» werde.

Der magistrale Öffnungsdruck auf die Landwirtschaft bleibt also bestehen. Der grosse Bauernkrieg steht noch bevor!

Viele Abkommen warten

Ein erstes Kräftemessen steht bereits in den nächsten Monaten an. Schon im Oktober wird Schneider-Ammann seine Vorschläge für die neue Agrarpolitik ab 2022 (AP22+) in die Vernehmlassung schicken. Es gilt, den letztes Jahr vom Volk angenommenen Verfassungsartikel für Ernährungssicherheit umzusetzen. Hier wird es vor allem darum gehen, ob das Direktzahlungssystem angepasst wird.

Der Grenzschutz wird in der AP22+ ausgeklammert. Dieser wird stattdessen separat in den anstehenden Freihandelsabkommen angepackt. Derzeit sind Verhandlungen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten, Indonesien, Kanada, Mexiko und der südafrikanischen Zollunion im Gang.

Bauern werden Grenzschutz verteidigen

Gerade beim Zollabbau sind Konflikte programmiert. Und die Bauern werden sich zu wehren wissen. «Wir werden uns jedes Freihandelsabkommen einzeln anschauen», sagt Bauernchef und CVP-Nationalrat Markus Ritter (51, SG). «Doch bei sensiblen Produkten wie Milch, Fleisch und Getreide wird es von unserer Seite keine Zugeständnisse geben, die unsere Marktposition schwächen.»

Ansonsten deutet auch Ritter das gestrige Resultat als Ja zur bisherigen Agrarpolitik. Von Schneider-Ammann verlangt er, dass er bei der AP22+ nicht wieder alles durcheinanderwirbelt. «Wir wollen endlich einmal Stabilität», verlangt der Bauernchef. «Man kann nicht alle vier Jahre alles auf den Grind stellen!»

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