Um ihrer Forderung nach Gleichstellung Nachdruck zu verleihen, demonstrierten die Streikenden am Freitag direkt vor dem Bundeshaus. Für einen Augenblick stand der Betrieb dort still.
Das Parlament unterbrach seine Sitzung, der Nationalratssaal, in dem Bundesrätin Viola Amherd (57, CVP) gerade noch mit einer Streik-Brosche am Rednerpult gestanden hatte, leerte sich. Parlamentarierinnen zeigten ihre Solidarität mit der Menge auf dem Bundesplatz, ein Ruck ging durch das politische Zentrum der Schweiz.
Doch schon am kommenden Mittwoch droht der patriarchale Gegenschlag. Dann nämlich, wenn sich die viel gerühmte «Chambre de réflexion», der Ständerat, über eine Reform des Aktienrechts beugt. Bundesrat und Nationalrat verlangen Richtwerte für die Vertretung der Geschlechter in Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen börsenkotierter Unternehmen: Mindestens 30 respektive 20 Prozent der Posten sollten von Frauen besetzt sein.
«Schlechtes Signal»
Sollten. Die Gleichstellungspolitik ist nicht nur zum Einschlafen langsam, meist spielt sie sich auch im Bereich des Wunschdenkens ab: Unternehmen, welche die zahmen Richtwerte nicht erreichen, drohen laut Entwurf keine Sanktionen. Doch ob dieser brave Passus überhaupt die Gnade des Stöcklis findet, ist fraglich. Die Rechtskommission des Ständerats strich den Richtwert für Geschäftsleitungen. Die einzige Frau in der Kommission, Ständerätin Anne Seydoux-Christe (60, JU), wehrte sich vergebens. Sollte sie am Mittwoch im Plenum erneut unterliegen, wäre dies ein «schlechtes Signal», warnt sie. «Ich hoffe, dass meine Kollegen das wissen.»
Drastischer formuliert es die Linke. «Da im Ständerat die bürgerlichen Männer die Mehrheit haben, droht fünf Tage nach dem Streik eine Ohrfeige für alle Frauen der Schweiz», sagt SP-Präsident und Ständerat Christian Levrat (48, FR). Es wäre ein Schlag mit liberalem Handschuh. Der freisinnige Andrea Caroni (39, AR): «Es ist Sache der Aktionäre, nicht des Staates, wem ein Eigentümer sein Geld beziehungsweise seine Unternehmung anvertrauen will, ob Mann oder Frau, jung oder alt, Zürcher oder Appenzeller, Homo oder Hetero.» Der Ausserrhoder hätte gern auch die Quote für Verwaltungsräte gestrichen – verzichtete dann aber «aus Liebe zum Kompromiss» auf seinen Antrag.
Weichgespülter Richtwert
Der Walliser CVPler Beat Rieder (56) ergänzt: «Die Mehrheit der Kommission möchte nicht mittels Richtwerten auf die Bestellung der Geschäftsleitung unserer privaten Unternehmen Einfluss nehmen.» Dies sei deren «ureigenste Kompetenz». Zwar bezweifelt das kaum jemand, doch es hilft, einen ohnehin weichgespülten Richtwert vollends in die Tonne zu treten.
Setzt sich die Mehrheitsmeinung der Kommission durch, liefern die Bürgerlichen der Linken einen Steilpass im anlaufenden Wahlkampf. «Die Frauen, die am Freitag auf die Strasse gegangen sind, müssen ihre Vertreter in Bern kontrollieren», sagt SP-Nationalrätin und Wahlkampfleiterin Nadine Masshardt (34, BE). Sie rufe jede Frau auf, bei den Ständeräten ihres Kantons nachzufragen, wie sie ihr Stimmverhalten erklären.
Auch das noch: AHV- Alter 65 für Frauen
Vielleicht sollten sie eine weitere Frage nachschieben. Ende Juni präsentiert der Bundesrat unter Federführung von Sozialminister Alain Berset (47, SP) seine Botschaft zur Altersreform. Substanzieller Bestandteil ist die Erhöhung des Rentenalters für Frauen von 64 auf 65 Jahre – ein Affront für die Teilnehmerinnen des Frauenstreiks. Sie verlangen zunächst Lohngleichheit, bevor über die Erhöhung des Rentenalters geredet werden kann.
Alain Berset möchte dieses Opfer zumindest abfedern. In einer Übergangszeit sollen Frühpensionierungen bei Frauen zu geringeren Rentenkürzungen führen als bei Männern. Wie viel Geld dafür in die Hand genommen wird, ist unklar. Das Zückerli fällt womöglich mickrig aus. Die von Berset favorisierte Variante von 800 Millionen Franken hat im Bundesrat einen schweren Stand. Gut möglich, dass am Ende nur 400 Millionen gesprochen werden. «Almosen!», schimpft SP-Chef Levrat. «Eine solche Reform, die ausschliesslich von den Frauen bezahlt wird, werden wir mit allen Mitteln bekämpfen», sagt er.
Beim höheren Rentenalter geht Gleichstellung plötzlich
Angesichts ihrer tieferen Löhne und Renten sei es «schlicht obszön», die Ausgleichsmassnahmen zu drücken. Obwohl sich Levrat «grundsätzlich» gegen das höhere Rentenalter sträubt, könne bei einem Ausgleich von 800 Millionen zumindest über eine Angleichung des Rentenalters diskutiert werden, deutet der Freiburger an.
So wird klar, dass sich Regierung und Parlament zwar schwertun, Frauen mit Richtwerten zumindest symbolisch zu stärken. Beim Rentenalter hingegen kann die Gleichstellung nicht schnell genug gehen. Die Antwort der Politik auf den nationalen Frauenstreik könnte männlicher nicht sein.