Selten war die Volkspartei weiter vom Volk entfernt als vor einer Woche: Knapp 60 Prozent der Stimmbürger versenkten die Unternehmenssteuerreform (USR) III – selbst 53 Prozent der SVP-Wähler wollten von der Vorlage nichts wissen. Obwohl die Parteielite die Vorlage prägte, ausarbeitete und bis zum letzten Tag mit riesigem Aufwand als alternativlos darstellte.
Am Freitagabend versuchte die Spitze der SVP in Weinfelden TG, auf Tuchfühlung mit ihrer Basis zu gehen – «SVP bi de Lüt» wie der regelmässig stattfindende Anlass im Parteijargon heisst. Ein grosser Aufmarsch auf dem Marktplatz kam nicht zustande, die Bundeshausfraktion blieb beinahe unter sich.
«Alleiniger Sündenbock des Landes»
Mit von der Partie war SVP-Finanzminister Ueli Maurer (66). Seit dem Abstimmungsflop steht der Bundesrat unter gewaltigem Druck. Zudem muss er eine neue, mehrheitsfähige Reform aufgleisen. Schafft er das? Fast schon trotzig steckt Maurer seinen Cervelat in die Feuerschale und sagt, er sei auf keinen Fall bereit, als «alleiniger Sündenbock des Landes» dazustehen. Ohnehin habe er in der vergangenen Woche keine Zeitung gelesen.
Vielleicht war das tatsächlich klug. Ausgerechnet die SVP-nahe «Weltwoche» heizte diese Woche Rücktrittspekulationen an und machte Maurer damit zum Prügelknaben der Rechtspartei. Ein Artikel des stellvertretenden Chefredaktors ätzte, Maurer gehe «spätestens» 2019 in die politische Pension, drohe, zur lahmen Ente zu werden, wirke nicht souverän, sondern uninspiriert und kraftlos. Die Linke fahre mit dem früheren SVP-Präsidenten bestens, so das Blatt.
Maurer versucht die Angriffe aus dem eignen Lager wegzulächen: Er bleibe noch zwei oder drei Legislaturen, verkündet er augenzwinkernd.
«Das Volk steht zuoberst»
Dann aber leistet Maurer Abbitte. Im eigens aufgestellten Festzelt spricht der SVP-Magistrat zu seinen Parteifreunden und wenigen Gästen. Während es sich die Bundesparlamentarier bereits mit Thurgauer Weisswein und Kafi Chrüter gemütlich machen, sagt Maurer ernst: «Das Volk steht zuoberst», Politiker seien bloss Angestellte. Das Nein, vor dem er wochenlang gewarnt hatte, sieht er nun als «Weg zu einer besseren Lösung».
Damit ist die SVP-Hausordnung wiederhergestellt. Aber nur vordergründig: Prominente Parlamentarier halten mit Kritik nicht hinter dem Berg. Nationalrat Ulrich Giezendanner (63, AG) sagt zu SonntagsBlick: «Ich war von Anfang an gegen die USR III, weil sie dem Kanton Aargau nichts gebracht hätte. Aber aus Loyalität zu Partei und Wirtschaft hielt ich den Mund.» Die Partei habe den Puls des Volkes nicht gespürt: «Da macht die Basis nicht mit», ruft er aus. Das Debakel müsse Folgen haben. Bei der anstehenden Altersreform erwartet der Fuhrhalter von seiner Partei «Kompromissbereitschaft».
Auns-Präsident findet die SVP «zu zögerlich»
Auch der St. Galler Nationalrat Lukas Reimann (34) stand der USR III von Anfang an skeptisch gegenüber. An der Basis sei der Frust über die (Nicht-)Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) noch immer «riesig», sagt der St. Galler. «Das muss bereinigt werden, bevor weitere gemeinsame Aktionen mit FDP und CVP folgen.» Der Präsident der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) spart nicht mit Kritik an der eigenen Partei. «Die SVP ist zu zögerlich», sagt Reimann. «Wir von der Auns gehen gegen die MEI-Umsetzung auf die Strasse und machen vorwärts mit einer Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit.»
Weil da von der Partei nichts komme, sammelten viele Mitglieder bereits Unterschriften für das MEI-Referendum des SP-Politikers Nenad Stojanovic (40), also für ein Projekt, dem die Parteispitze mit offener Feindseligkeit begegnet. Zwar präsentiert sich die Riege um Parteichef Albert Rösti (49, siehe Interview) als geschlossen. Doch so rasch werden sich die Wolken über der Sünneli-Partei nicht verziehen. Darüber können nicht einmal die schönen Bilder der SVP-Granden beim Wurstbräteln hinwegtäuschen.