Das EU-Dossier ist ein Scherbenhaufen: Am Mittwoch haben die Gewerkschaften und die SP sich aus den Verhandlungen für das Rahmenabkommen verabschiedet. Und auch für die CVP ist es tot. Da die SVP seit jeher gegen das Abkommen ist, stehen FDP und GLP nun alleine da.
Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann will mit Arbeitgebern und Kantonen allein weiterverhandeln, wie man den Schweizer Lohnschutz so anpassen kann, dass die EU zufrieden ist.
Berset soll es richten
Aussenpolitiker sind hingegen der Meinung, dass es einen Personalwechsel braucht: Bundespräsident Alain Berset (46) soll es richten. So sagt die Präsidentin der nationalrätlichen Aussenpolitischen Kommission, Elisabeth Schneider-Schneiter (54, CVP): «Ich würde es begrüssen, wenn Bundespräsident Berset die Gewerkschaften an den Verhandlungstisch zurückholen könnte.»
Auch für GLP-Fraktionschefin Tiana Angelina Moser (39) wäre es wichtig, «dass Herr Berset nun seine Verantwortung als Bundespräsident wahrnimmt und den Bruch zwischen den Parteien wieder kittet».
Selbst FDP-Nationalrätin Christa Markwalder (43) findet: Der junge Landesvater solle eine vermittelnde Rolle einnehmen und seine Parteifreunde an den Verhandlungstisch bringen. «Es steht viel auf dem Spiel.»
Schuld ist der Gesamtbundesrat
Skeptisch ist man einzig in Bersets eigener Partei: «Er muss sich als anerkannter Bundespräsident nun in die Diskussion einschalten und die Wogen glätten – falls Berset einen Rahmenvertrag will», so SP-Aussenpolitiker Eric Nussbaumer (58).
Nussbaumer spricht damit das Grundproblem des EU-Dossiers an: Schuld am Scherbenhaufen hat der Gesamtbundesrat. Er war sich selbst nie sicher, ob er das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU tatsächlich will. Die Regierung hat das Thema immer vor sich her geschoben – bis Ende 2017 EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (63) persönlich tief beleidigt war, was für ein Spiel man mit ihm spielt.
Die EU hat doppeldeutig auf den Gesprächsboykott der Schweizer Gewerkschaften zum Lohnschutz reagiert. Zwar sagte EU-Kommissionssprecherin Mina Andreeva (35) gestern, es handle sich um einen internen Prozess, der völlig in der Hand der Schweiz sei.
Aber sie machte ebenfalls klar: Unter diesen Voraussetzungen werde ein Abschluss «nicht einfach» sein – und die Zeit dränge. Im Lauf des nächsten Monats seien «deutliche Fortschritte» notwendig, so Andreeva.
Diese Formulierung ist laut EU-Kennern eine deutliche Drohung, die besonders Finanzminister Ueli Maurer (67) Sorgen bereiten dürfte. Denn damit kündige die EU an, die auf Ende Jahr befristete Anerkennung der Schweizer Börsenregeln nicht zu verlängern. Die Anerkennung ist für die Schweizer Börse lebensnotwendig. (sf)
Die EU hat doppeldeutig auf den Gesprächsboykott der Schweizer Gewerkschaften zum Lohnschutz reagiert. Zwar sagte EU-Kommissionssprecherin Mina Andreeva (35) gestern, es handle sich um einen internen Prozess, der völlig in der Hand der Schweiz sei.
Aber sie machte ebenfalls klar: Unter diesen Voraussetzungen werde ein Abschluss «nicht einfach» sein – und die Zeit dränge. Im Lauf des nächsten Monats seien «deutliche Fortschritte» notwendig, so Andreeva.
Diese Formulierung ist laut EU-Kennern eine deutliche Drohung, die besonders Finanzminister Ueli Maurer (67) Sorgen bereiten dürfte. Denn damit kündige die EU an, die auf Ende Jahr befristete Anerkennung der Schweizer Börsenregeln nicht zu verlängern. Die Anerkennung ist für die Schweizer Börse lebensnotwendig. (sf)
Pleiten, Pech und Pannen
Führungswillen zeigte niemand in der Regierung. Selbst die beiden SP-Bundesräte sollen uneins sein: Während für Simonetta Sommaruga (58) die flankierenden Massnahmen sakrosankt sind, sähe Berset hier Spielraum. «Das Vorgehen des Gesamtbundesrats ist dilettantisch», lautet das harsche Urteil von Nussbaumer.
Pleiten, Pech und Pannen prägten das Dossier, bis am Mittwoch die Gewerkschaften entnervt den Bettel hinwarfen. Der frühere FDP-Präsident Philipp Müller (65) hat Verständnis dafür. Er erklärt sich den Eklat so: Es sei nicht primär ein inhaltliches Problem gewesen, das die Gespräche scheitern liess, «sondern ein atmosphärisches». «Man hätte sich die notwendige Zeit für alle Akteure nehmen müssen.»
Ohne Not Tempo gebolzt
Andere bürgerliche Spitzenpolitiker, die nicht mit Namen hinstehen wollen, pflichten ihm bei. Einig sind sie auch, dass es falsch war, beim Tempo derart auf die Tube zu drücken. Es gebe keinen Grund, das Abkommen schon im September zu unterzeichnen. Man hätte sich trotz aller Meinungsverschiedenheiten mit den Sozialpartnern bis im Herbst auf einen Grundsatz einigen können. Danach hätte man genügend Zeit gehabt, um Differenzen auszuräumen.
Doch ein unterschriftsreifes Papier vorzulegen, bevor Gewerkschaftsboss Paul Rechsteiner (65) aus den Ferien zurück war und mit Schneider-Ammann das Gespräch führen konnte, habe Verhandlungen verunmöglicht: «Man kann nicht ein Papier vorlegen, bevor man den Gewerkschaftsbund, der über 350'00 0 Mitglieder vertritt, konsultiert hat», meint ein bürgerlicher Politiker.
Alle sollen mal ausspannen
Obendrein sei das Papier eine Kriegserklärung an die Arbeitnehmervertreter gewesen. Gewerkschafter hätten mehrfach gewarnt, im Papier gebe es nur sieben Punkte zum Abbau des Lohnschutzes und keine einzige Kompensation, mit der sie ihr Gesicht hätten wahren können.
«Jetzt sollen doch bitte alle übers Wochenende ausspannen und sich dann wieder zusammen an einen Tisch setzen. So ist das bei uns üblich», empfiehlt FDP-Müller. Eigentlich keine schlechten Voraussetzungen, um das Rahmenabkommen wiederzubeleben – sofern das der Bundesrat denn will.