Für die SP war es eine Woche zum Vergessen. Ausgerechnet in den beiden linken Hochburgen Basel und Zürich ging es drunter und drüber. An der Limmat gab Stadträtin und Gesundheitsdirektorin Claudia Nielsen (56) drei Wochen vor den Wahlen bekannt, nicht antreten zu wollen. Zur Überraschung ihrer Genossen, die auf die Schnelle keine alternative Kandidatur mehr lancieren können.
In Basel wiederum sorgte der langjährige SP-Politiker Rudolf Rechsteiner (59) für einen Eklat, als er seine Parteikollegin Silvia Schenker (64), die seit 2003 im Nationalrat politisiert, via Facebook zum Rücktritt aufforderte. Womit der Weg frei wäre für den nachrückenden Mustafa Atici (48). Rechsteiner schrieb: «Wann lesen wir von deinem Rücktritt? Wir warten. Und wir sind viele. Ein bisschen Anstand stände dir gut an. Wenigstens ein bisschen.» Selbst für die streitlustige SP ist der Tonfall ungewohnt aggressiv.
Die Partei hat sie gebeten
Schenker aber erklärte, dass sie bis zu den Wahlen 2019 in Bern bleiben wolle. Am Donnerstag dann liess das Präsidium der SP Basel-Stadt verlauten, «dass es den Ort und die Tonlage der öffentlichen Äusserungen von Parteimitglied Ruedi Rechsteiner in dieser Sache beanstandet».
Gegenüber SonntagsBlick stellt Schenker klar: «Für mich ist die Sache nun erledigt.» Sie werde sich bis Ende der Legislatur auf ihre politische Arbeit konzentrieren. Aber: «Den Vorwurf, dass ich mich an mein Mandat klammere, stimmt schlicht nicht. Ich wollte 2015 nicht mehr antreten, tat dies aber, weil mich die Partei darum bat.»
Zum Krach in der Basler SP macht sie sich grundsätzliche Gedanken. Über den Umgang mit Amtsträgern und deren Wählern. Und über den Umgang mit Politikerinnen in ihrer Partei.
«Die SP muss sich zwei Fragen stellen», sagt sie. «Warum werden vor allem Frauen derart unter Druck gesetzt, vorzeitig zurückzutreten? Und entspricht es wirklich dem Willen der Wählerinnen und Wähler, dass Politiker vor Ablauf der Amtszeit einem Nachfolger Platz machen sollen?» Fragen, die weit über die Nachfolgeregelung einer Kantonalsektion hinausreichen.
Frauen konfrontiert man damit
Im Bundeshaus ist die Solidarität mit Schenker gross. Diese sei eine der verdientesten Sozialpolitikerinnen der Partei, sagt Nationalrätin Yvonne Feri (51). Bei der SP stünden immer wieder gute neue Leute zur Verfügung, wenn es gelte, grosse Lücken zu schliessen. «Wichtig ist, dass sich alle Mitglieder der eidgenössischen Räte rechtzeitig Gedanken über ihren Rücktritt machen und ihre Geschäfte früh genug übergeben», so Feri. Die Aargauerin fügt an: «Ich beobachte, dass in der SP vornehmlich Frauen mit solchen Rücktrittsforderungen konfrontiert sind. Auch meine Partei hat bei der Gleichstellung noch Arbeit vor sich.»
Sie frage sich, wer langjährigen Parlamentariern sage, dass es vielleicht einmal Zeit wäre, den Sessel zu räumen. «Bei Politikerinnen traut man sich das offensichtlich», stellt Feri fest.
«Schlechter Stil»
Die Sensibilität in der Frauenfrage sei «auch bei manchen SP-Männern entwicklungsfähig», stimmt Ratskollegin Susanne Leutenegger Oberholzer (69, BL) ihr zu. Rechsteiners öffentliche Aufforderung zum Rücktritt via Social Media sei «nicht sehr intelligent und zeugt von schlechtem Stil». Die Druckversuche auf Schenker seien unhaltbar. Sie hoffe, dass dies mit der Erklärung der Basler SP aufhöre.
Die Sozialdemokratin appelliert an das historische Bewusstsein ihrer Mitstreiter. 1904 habe die SP die Forderung nach der Einführung des Frauenstimmrechts in ihr Parteiprogramm aufgenommen. Doch das Stimmrecht und der Gleichstellungsartikel von 1981 seien nur der Anfang. Es bleibe noch viel zu tun. «Gut , dass es in der SP Frauen gibt, die sich aktiv dafür einsetzen», sagt Leutenegger Oberholzer.