Menschen, die aus Kriegs- und Konfliktregionen flüchten oder Opfer von Folter wurden, leiden häufig an schweren gesundheitlichen Folgen: Posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen, Panikattacken, körperliche Schmerzen und soziale Isolation.
Wie viele der Flüchtlinge, die in die Schweiz gelangen, tatsächlich unter psychischen Erkrankungen leiden, ist unklar. Laut einer neuen Erhebung des Berner Inselspitals, litten 14 Prozent der 1653 Asylsuchenden, die das Notfallzentrum zwischen 2012 und 2015 aufsuchten, unter psychiatrischen Problemen. Nach chirurgischen Eingriffen und Infektionen waren psychische Störungen der häufigste Grund für eine Konsultation, wie die «SonntagsZeitung» berichtete.
Die tatsächliche Zahl dürfte um einiges höher sein, denn oft bleiben solche seelische Leiden unerkannt. Mit gravierenden Folgen für die Betroffenen. Aber auch für die Schweiz. Denn psychisch schwer erkrankte Personen können eine Gefahr für die Sicherheit sein. So war etwa der 27-jährige Flüchtling aus Syrien, der sich in Ansbach vor einem Open-Air-Gelände in die Luft sprengte und 15 Menschen teils schwer verletzte, psychisch krank.
Vielfältige psychische Erkrankungen
Werden hierzulande bei Flüchtlingen eine schwerere psychische Erkrankung festgestellt, werden sie an entsprechende Fachstellen weitergeleitet – etwa in eine psychiatrische Klinik. Oder ans Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer des Roten Kreuzes in Bern. Psychotherapeuten, Ärzte, Psychologen und Sozialberater versuchen, den traumatisierten Flüchtlingen zu helfen. Versuchen, dass sich diese mit dem Erlebten auseinandersetzen.
«Am Anfang jeder Behandlung steht eine Abklärungsphase, die dazu dient, ein vertrauensvolles Arbeitsbündnis aufzubauen», sagt Carola Smolenski, Fachpsychologin für Psychotherapie des Ambulatoriums für Folter- und Kriegsopfer des Roten Kreuzes zu BLICK. Gemeinsam mit dem Patienten würde entschieden, welche psychischen, körperlichen oder sozialen Schwierigkeiten im Fokus der Behandlung stehen und welche Therapieansätze dazu eingesetzt werden sollen.
«In der Regel leiden unsere Patienten nicht nur unter traumatischen Erfahrungen im Herkunftsland und auf der Flucht, sondern sie müssen sich gleichzeitig hier eine neue Existenz aufbauen», sagt Smolenski. Deshalb würden die posttraumatischen Beeinträchtigungen Schwierigkeiten mit der sprachlichen und beruflichen Integration in der Schweiz nach sich ziehen. Dies könne Krankheitssymptome verstärken.
Deshalb sei die Förderung der Autonomie entscheidend – etwa durch den Zugang zu Sprachkursen, Beschäftigung und Arbeit. «Respekt und Anerkennung, soziale Kontakte und die Entwicklung von Zukunftsperspektiven haben Einfluss auf das psychische Wohlbefinden und damit den Behandlungsverlauf der betroffenen Person», so die Psychotherapeutin.
Keine Heilung möglich
Die Arbeit mit den Flüchtlingen kann mehrere Jahre dauern – Fortschritte gibt es meist nur langsam; eine vollständige Genesung häufig nicht. «Die traumatischen Erfahrungen können durch die Therapie weder rückgängig gemacht noch aus der Erinnerung gelöscht werden. Das Erlebte gehört zur Biografie des betroffenen Menschen», sagt Smolenski. Ziel der Behandlung sei folglich, einen weniger leidvollen Umgang mit dem Erlebten zu finden und damit im Alltag weniger durch die traumatische Vergangenheit beeinträchtigt zu werden.
Es ist essentiell, dass der Staat hier aktiv ist, denn: «Werden Traumata nicht behandelt, ist das Risiko einer Chronifizierung sowie zusätzlicher Erkrankungen wie Depressionen, Schmerzstörungen, Abhängigkeitserkrankungen und Persönlichkeitsstörungen deutlich erhöht», sagt die Expertin vom Roten Kreuz.
Auch würden Diabetes, Schlaganfälle, Herzkreislauferkrankungen und Krebs bei Menschen mit chronischen Traumfolgeerkrankungen häufig diagnostiziert. «Nicht oder erst sehr spät behandelte Traumata führen also zu einem Teufelskreis – und bedeuten neben dem Leid der betroffenen Menschen auch eine deutliche Zunahme der Gesundheitskosten», so Smolenski.
Zu wenig Plätze
Trotz dieser Erkenntnisse fehlen Behandlungsplätze. «In der Schweiz sind viele Flüchtlinge und Asylsuchende psychiatrisch unterversorgt», sagte Smolenskis Kollege, der Leiter des Ambulatoriums für Folter- und Kriegsopfer in Zürich, Matthis Schick kürzlich.
Auch andere psychiatrische Kliniken stossen an Kapazitätsgrenzen. «Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem», sagt etwa Ulrich Schnyder vom Unispital Zürich. «Es gibt in der Schweiz nicht genügend Behandlungsplätze für Flüchtlinge und Asylsuchende.»