Nach 25 Jahren macht Claude Longchamp Schluss
Die «Fliege» sagt Tschüss

Das Energiegesetz ist seine Dernière: Claude Longchamp (60) analysiert heute die letzte Volksabstimmung. Der Historiker lässt sich frühpensionieren und geht auf Reisen.
Publiziert: 21.05.2017 um 12:21 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 03:45 Uhr
Hängt heute seine Fliege an den Nagel und geht bald auf Reisen: Politikwissenschaftler Claude Longchamp.
Foto: GAETAN BALLY
Nico Menzato

Seit 1992 kommentierte Claude Longchamp, der Mann mit der Fliege, am Schweizer Fernsehen ausnahmslos alle Wahl- und Abstimmungssonntage. Und fühlte den Schweizern vor den Urnengängen den Puls. Zudem analysierte er in dieser Zeit sieben eidgenössische Wahlen. Heute ist sein 77. und letzter Abstimmungssonntag.

Weil er sich beim ersten TV-Auftritt weigerte, eine Krawatte zu tragen, griff er zur Fliege. Diese wurde zum Markenzeichen des Historikers. Jetzt besitzt er rund 150 Stück davon.

Nun geht Longchamp auf Reisen. Die genaue Route steht noch nicht fest – einzig, dass er ohne Flugzeug unterwegs sein wird.

Vom alleinigen Star zum Prügelknabe

Die Analysen im TV-Studio meisterte Longchamp stets mit Bravour. Für Kritik sorgten zeitweise seine Umfragen vor heiklen Urnengängen. Hier seine Karriere in fünf Etappen:

Premiere: Beim hauchdünnen Nein bei der EWR-Abstimmung am 6. Dezember 1992 stand Longchamp zum ersten Mal vor der Kamera.

Claude Longchamp im Fernsehstudio am 6. Dezember 1992 zum EWR-Beitritt, den die Schweiz knapp ablehnte.
Foto: SRF

Seine Rolle war speziell, denn er war parteiisch und setzte sich für den Beitritt ein.

Monopolist: Nach der EWR-Abstimmung begann die rasante Karriere der «Fliege» und seinem Forschungsinstitut GFS. Über viele Jahre hatte der Historiker quasi ein Monopol auf die politische Analyse aus wissenschaftlicher Sicht. Politiker schauten mit Argusaugen auf seine Umfragen vor den Urnengängen, TV-Zuschauer schätzten seine prägnante Art der politischen Einordnung.

Minarett-Initiative: Nach der Abstimmung am 29. November 2009 hagelte es Kritik: Longchamp hatte einen knappen Ausgang vorausgesagt, ein Ja aber ausgeschlossen. Doch die Schweizer sagten mit 57,5 Prozent Ja zum Verbot von neuen Minaretten. 

Weitere Pannen: Es folgten weitere Fälle, in denen Abstimmungsresultate nicht mit den Umfragewerten übereinstimmten. Etwa die Familieninitiative der SVP 2013. Vor allem aber das knappe Ja zur SVP-Masseneinwanderungs-Initiative im Februar 2014.

Longchamp hatte in seiner zweiten Trendumfrage drei Wochen vor der Abstimmung lediglich 37 Prozent Ja vorausgesagt. «Unsere Umfragen stimmen. Es sind Momentaufnahmen und Trends, aber keine Prognosen», rechtfertigte er sich jeweils. Das Orakel Longchamp verlor weiter an Glaubwürdigkeit, gleichzeitig wurde die Konkurrenz durch junge Politologen immer grösser.

Dernière: Stimmt seine «Momentaufnahme» mit dem tatsächlichen Ergebnis bei seiner letzten grossen Show überein? Seine Umfragen deuteten auf ein Ja bei der Energiestrategie 2050 hin. Wie es ausgeht, verfolgen Sie hier im Live-Ticker.

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