Rund 360'000 der in der Schweiz wohnhaften Menschen ab 15 Jahren sind muslimischen Glaubens. Ihr Anteil an der ständigen Wohnbevölkerung beträgt 5,2 Prozent (2016). Ähnlich hoch ist der Muslim-Anteil in Deutschland: Die Forschungsgruppe Fowid spricht von rund 4 Millionen Muslimen, was einem Anteil von 4,9 Prozent entspricht.
Allerdings gibt es in Deutschland keine offiziellen Erhebungen dazu: Eine Studie des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) schätzt die Zahl der Muslime auf bis zu 4,7 Millionen – und damit einen Bevölkerungsanteil von 5,7 Prozent (2015).
Deutschland mit mehr Türken
Unterschiede zeigen sich in der Herkunft der Muslime. In der Schweiz verfügt rund ein Drittel über die Schweizer Staatsbürgerschaft. Gut ein Drittel stammt vom Balkan – insbesondere aus Kosovo und Mazedonien. Fast jeder neunte Muslim ist Türke. In Deutschland hingegen wird die muslimische Gemeinschaft von den Türken geprägt – mit über der Hälfte. Etwa 17 Prozent stammen aus dem Nahen Osten.
Der Türken-Anteil hat Folgen. «Die türkische Gemeinschaft erlebt auch heute oft noch eine starke Kontrolle durch den türkischen Staat, das wirkt sich aus», erklärt Islamwissenschaftler Reinhard Schulze (65) von der Universität Bern. «Es gibt stärkere Aufsichtstendenzen und soziale Kontrolle.» Muslimen aus dem Balkan sei eine solche Staatsaufsicht unbekannt. «Für sie ist das soziale Setting und damit die Einpassung ihres Islams in die Gesellschaft einfacher.»
Zunehmende Säkularisierung
Die Aussage Sarrazins, wonach rund 70 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime «einem konservativen, den Koran wörtlich nehmenden Glauben zuneigt» seien, stellt Schulze mehr als in Frage. «Das sind Fake News.»
Tatsächlich zeigen Studien in der Schweiz wie in Deutschland, dass sich Muslime in Sachen Gläubigkeit nicht gross von Christen unterscheiden. Gemäss einer Studie des deutschen Innenministeriums von 2009 bezeichnen sich gut 80 Prozent der Muslime als sehr oder eher gläubig. Allerdings besuchen rund zwei Drittel nie oder nur selten religiöse Veranstaltungen. Und von den Frauen trägt nur gut ein Viertel immer ein Kopftuch, über zwei Drittel hingegen nie.
Gemäss Bundesamt für Statistik liegt der Anteil der Muslime, die im Vorjahr nie einen Gottesdienst besucht hatten, mit fast der Hälfte deutlich höher als bei Katholiken und Protestanten. Und während bei den Muslimen nur 17 Prozent täglich oder fast täglich beten, sind es bei den Katholiken gut 30 Prozent.
Schulze betont: «Je länger Muslime in Deutschland oder der Schweiz leben, umso mehr gleichen sie sich in Sachen Frömmigkeit an. Die Säkularisierung ist auch für sie grossmehrheitlich eine Selbstverständlichkeit.»