Hier wird das AKW Mühleberg abgeschaltet
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Historischer Moment:Hier wird das AKW Mühleberg abgeschaltet

Mühlberg ist vom Netz – für Atomgegner Jürg Joss nur ein Etappensieg
Er kämpft bis zum letzten AKW

30 Jahre kämpfte Jürg Joss gegen das AKW Mühleberg. Am Tag der Abschaltung des Atomkraftwerks ist ihm dennoch nicht zum Jubeln zumute.
Publiziert: 20.12.2019 um 21:28 Uhr
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Aktualisiert: 10.12.2020 um 14:36 Uhr
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Atomkraftgegner Jürg Joss ist trotz der Abschaltung von Mühleberg nicht zum Jubeln zumute.
Foto: Peter Gerber
Sermîn Faki

Zum Jubeln sei ihm nicht zumute, sagt Jürg Joss (56) kurz nach 12.30 Uhr auf dem Berner Viktoriaplatz. Das kann man kaum glauben, kämpfte der Automationstechniker aus Bätterkinden BE doch knapp 30 Jahre gegen das AKW Mühleberg. Und am Freitag nun streckte sein Feind die Waffen – um 12.30 Uhr zog die Betreiberin BKW dem AKW den Stecker.

Doch Joss stand nicht etwa mit einer Flasche Champagner in Mühleberg. Sondern auf dem Berner Viktoriaplatz. Und statt Schämpis hatte er den Newsletter des Fokus Anti-Atom in den Händen. Gemeinsam mit anderen – mehr alten als jungen – Anti-AKW-Kämpfern erinnerte er daran, wie das endgültige Aus von Mühleberg seine Anfang nahm, als Anti-Atom-Protestanten im Sommer 2011 den Platz vor dem Hauptsitz der BKW besetzten.

120'000 Franken aus Genf

Joss selbst befand sich damals im Rechtsstreit mit der BKW. Als Präsident des Vereins Mühleberg-Ver-fahren gelangte er bis vor Bundesgericht, um die damals unbefristete Betriebsbewilligung für Mühleberg aufzuheben.

Neben ihm steht der Genfer Stadtrat Rémy Pagani (55). Kein Zufall: Denn ohne die Stadt Genf hätten die Mühleberger nie gegen die BKW klagen können – zu gross das Prozessrisiko. Doch Genf, in dessen Kantonsverfassung steht, dass sich der Kanton gegen Atomkraft engagieren muss, stellte den Mühleberg-Gegnern 120'000 Franken für einen Rechtsstreit zur Verfügung.

«Vier laufen noch»

Pagani, der mit Weibel in vollem Ornat angereist war, beglückwünschte die Berner zum Aus von Mühleberg. Und Joss? Er habe ein lachendes und weinendes Auge, sagt er. «Ein AKW ist weg, aber vier andere auf Schweizer Boden laufen noch.»

Ihn besorgt der aktuelle Mühleberg-Hype. Denn dadurch seien die anderen AKW aus dem Fokus geraten. «Dabei hat Gösgen ein riesiges Brandschutz-Problem – aber die Verantwortlichen wollen das nicht wahrhaben.» Seit Monaten nun seien er und seine Mitstreiter von Fokus Anti-Atom am Kriegen mit dem Eidgenössischen Nuklearinspektorat (Ensi), das Unterlagen einfach nicht herausgeben wolle.

Was die Atomlobby nicht sagt

Hört man Joss zu, scheint es, als habe sich die Welt nicht weitergedreht. Dabei ist die Energiewende einerseits beschlossene Sache. Und andererseits haben AKW am Ende des Klimajahrs 2019 wieder Auftrieb erhalten. Denn sie, so betonen die Befürworter immer wieder, liefern CO2-neutralen Strom.

Für Joss eine Mogelpackung: «Wer das sagt, verschweigt einfach, dass der Uran-Abbau in Kasachstan, Australien und Kenia eine wahnsinnige Sauerei ist», sagt er. Zum einen würden dabei enorme Mengen dreckiger Kohlestrom verbraucht. Zum anderen seien gewaltige Seen mit Schwefelsäure angelegt worden, um das Uran aus dem Gestein zu lösen. «All das sagt die Atom-Lobby natürlich nicht.»

Auch darum steht Joss hier mit einem Anti-Atomkraft-Newsletter und nicht mit einer Flasche Champagner. «Vielleicht haben wir eine Schlacht gewonnen. Doch der Kampf geht bis zur Abschaltung des letzten AKW weiter.»

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