Das griechische Volk hat am Sonntag Nein gesagt zum neuen Deal mit der EU, der Zentralbank und dem Währungsfonds (IWF). Ein guter Entscheid?
Christoph Mörgeli: Das Nein ist eine konsequente Antwort.
Fabian Molina: Ich bin sehr froh über das Nein.
Links und Rechts sitzen plötzlich im selben Boot und befürworten das Nein. Wieso diese Einigkeit?
Molina: Die gibt es nicht. Wir kritisieren die unmenschliche und schädliche Abbaupolitik des IWF, der Zentralbank und der EU-Kommission, die Griechenland zu lange in den Würgegriff genommen hat. Und sorgen uns um das geeinte Europa, das durch eine Politik der sozialen Kälte immer stärker an Legitimität und Vertrauen verliert.
Mörgeli: Diese Einigkeit hört rasch auf. Die SP will in die EU und eiert bei der Euro-Frage herum – sagt, wir müssten den Euro bei einem Beitritt nicht übernehmen. Und will den Franken an den Euro anbinden. Das ist eine währungspolitische Geisterfahrt. EU und Euro sind intellektuelle Fehlkonstruktionen. Der Griechen-Bankrott zeigt dies schonungslos.
Sie geben aber als SVP-Politiker der sozialistischen griechischen Regierung recht!
Mörgeli: Nein, die Kommunisten-Regierung ist eine Katastrophe. Die Griechen sind nicht Opfer, sondern Täter. Sie haben Jahrzehnte massiv über ihre Verhältnisse gelebt. Das Geld der Gläubiger ist weg, das Land pleite. Die Schulden werden nie zurückbezahlt. Schon Schiller sagte: Neues Leben spriesst aus den Ruinen. Das gilt auch für Staaten. Griechenland muss raus aus dem Euro. Das Land scheitert am Euro – und die EU scheitert an den Griechen.
Molina: Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder einigt man sich auf den Schuldenschnitt – oder ein Austritt aus dem Euro wird unumgänglich. Letzteres will aber die EU nicht, weil Banken Milliarden verlieren würden. Die Griechenland-Politik mit radikalen neoliberalen Rezepten hat das Land in den Abgrund gerissen. Die Wirtschaft ist um ein Viertel geschrumpft, ebenso die Löhne. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt unglaubliche 60 Prozent.
Das Volks-Nein gibt aber rechtspopulistischen Anti-EU-Parteien Auftrieb. Das kann doch nicht im Interesse der SP sein!
Molina: Das Nein hat dazu geführt, dass jetzt über einen Schuldenerlass verhandelt werden könnte – und das ist gut so.
Mörgeli: Ein Schuldenschnitt wäre ein Dammbruch. Im Süden Europas kämen linke Regierungen an die Macht, die nichts als Schulden machen – und der EU auf der Nase herumtanzen. Sie würden nichts zurückzahlen, weil sie wissen, dass sie damit durchkommen. Die EU ist schon heute in Geiselhaft der überschuldeten Staaten. Statt diese finanziell weiter zu stützen, kann man das Geld auch in eine Pfütze werfen.
Ein linkes Komitee sammelt Medikamente für Griechenland – als wäre es ein Drittweltland. Die Linken wissen, dass der Absturz in die Armut bevorsteht.
Molina: Die Griechen haben Nein gesagt zu einer jahrelangen Rosskur. Die EU hat sie in die Armut getrieben. Heute ist die Geburtsstätte der Demokratie nicht weit davon entfernt, dass Hunger herrscht und die Gesundheitsversorgung zusammenbricht. Das Nein ist eine Absage an rigide Sparbefehle.
Mörgeli: Das Nein kommt daher, weil niemand bereit ist zu sparen, den Lebensstandard zu senken und nicht mehr mit 56 in Rente zu gehen. Die Griechen haben hohe dreistellige Milliardenbeträge erhalten – und verbraten. Jetzt wollen sie weiter auf Kosten anderer leben. Mit den Kreditkarten ihrer Kinder. Aber ein bequemes Leben ohne Arbeit, Schweiss und Tränen gibt es nicht.
Molina: Das ist an den Haaren herbeigezogen. Die Griechen gehen im Schnitt nach 60 in Rente – etwa gleichzeitig wie die Deutschen. Dass die Griechen faul seien, ist einfach nur falsch. Sie werden – im Gegenteil – mit Schuldenlast für die Banken geknechtet, sie kommen aus der Abwärtsspirale nicht heraus. Die Verschuldung ist ja trotz massiver Sparanstrengungen gestiegen.
Welche Rolle soll die Schweiz in der griechischen Tragödie spielen?
Mörgeli: Via IWF haben wir uns leider verpflichtet, uns mit bis zu 15 Milliarden Franken an den Krediten zu beteiligen. Wir müssen jetzt aus dem IWF aussteigen. Sonst erleiden wir finanzielle Schäden.
Molina: Die Schweiz muss jetzt dafür sorgen, dass das viele Geld, das reiche Griechen in der Schweiz versteckt haben, der griechischen Bevölkerung zurückgegeben wird.
Mörgeli: Ist doch logisch, dass Griechen ihr Geld in Sicherheit bringen. Sie trauen ihrem Staat nicht. Zu Recht: Jetzt dürfen sie noch 60 Euro abheben. So können Unternehmer doch nicht wirtschaften.
Molina: Die griechischen Eliten haben das Land heruntergewirtschaftet. Und schaffen jetzt ihr unversteuertes Geld aus dem Land. Sie verantworten Armut, Hunger und Elend.
Muss die Schweiz nach dem Griechen-Poker Lehren für die eigenen Verhandlungen mit der EU ziehen?
Molina: Die Schweiz ist im Gegensatz zu Griechenland nicht EU-Mitglied. Sie kann leider nicht mitentscheiden – und ist deshalb Bittstellerin. Eine ungünstige Ausgangslage für erfolgreiche Verhandlungen.
Mörgeli: So deftige Auftritte, wie die griechischen Minister hingelegt haben, wünsche ich mir nicht von Simonetta Sommaruga. Aber mehr Rückgrat und Widerstandskraft. Die neue Lehre aber bleibt die alte: Eine politische Konstruktion wie die EU, die viele Volkswirtschaften und so stark unterschiedliche Kulturen zentralisieren will, funktioniert nicht.
Molina: Verschiedene Kulturen in Europa – das ist absoluter Blödsinn. Der Fall Griechenland offenbart, dass EU-Länder bei gemeinsamer Währung total unterschiedliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen haben. Es braucht also mehr Zusammenarbeit, nicht weniger.
Mörgeli: Gemeinsame Gesetze bringen nichts, wenn sie über so unterschiedliche Kulturen gestülpt werden. Der Kulturunterschied zeigt sich dann bei der Anwendung. Die Schweiz würde die Gesetze zehn Mal lesen und drei Mal umsetzen. Im Süden wird dies etwas lockerer gehandhabt.
Molina: Herr Mörgeli betreibt kulturellen Rassismus. Ausgerechnet die linke Syriza-Regierung versucht etwa den grassierenden Klientelismus zu unterbinden. Dass im Süden Gesetze nicht beachtet werden, ist eine unsägliche Behauptung.
Hat Griechenland Ende Jahr den Euro noch?
Molina: Ja. Ein Austritt wäre für die europäischen Banken viel zu teuer. Es wird zu einer Einigung kommen.
Mörgeli: Ja. Weil die EU aus ideologischer Verblendung nicht zugeben kann, dass das Projekt Euro gescheitert ist.