Mobbing-Vorwürfe
Knatsch um Regierungsratssitz in der Tessiner SP

Die Wahlen vom nächsten Frühling sorgen in der SP Tessin für Wirbel. Neben Ständerätin Marina Carobbio und Juso-Mann Yannick Demaria hat sich auch die Ökonomin Amalia Mirante ins Gespräch gebracht. Dass sie es aufs Ticket schafft, ist jedoch eher unwahrscheinlich.
Publiziert: 11.11.2022 um 13:10 Uhr
Amalia Mirante möchte aufs SP-Ticket für die Regierungsratswahlen von kommendem Frühling.
Foto: DAVIDE AGOSTA

Ständerätin Marina Carobbio hat gute Chancen, im kommenden Frühling als erst vierte Frau in die Tessiner Regierung einzuziehen. Mit ihr aufs offizielle Wahlticket soll der 21-jährige Yannick Demaria – so will es die Findungskommission der SP Tessin. Die Partei stellt gemeinsam mit den Grünen eine Liste von fünf Kandidatinnen und Kandidaten zusammen.

Keine Wunschkandidatin der Findungskommission, aber trotzdem im Gespräch für den freiwerdenden Regierungsratssitz ist die Ökonomin Amalia Mirante. Die Dozentin der Tessiner Fachhochschule Supsi und Vizepräsidentin des Rats der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung EHB würde als Regierungsrätin den «gemässigten-sozialdemokratischen Flügel» der Partei vertreten, wie sie auf Anfrage von Keystone-SDA erklärte.

Ausserdem vertrete sie als Kind von italienischen Einwanderern der zweiten Generation eine andere Gesellschaftsschicht als viele Tessiner «Politikerfamilien» – ein Seitenhieb auf Kronfavoritin Marina Carobbio, deren Vater bereits für die SP im Nationalrat sass.

Der gemässigte Flügel sei in der Partei seit geraumer Zeit unter Druck, sagt Amalia Mirante. Die 44-Jährige spricht von einer «Kultur der Intoleranz»: Mitglieder, die eine von der Parteilinie abweichende Meinung vertreten, würden intern gemobbt.

Diese Beobachtungen stützt Evaristo Roncelli. Der Wirtschaftswissenschafter war bis Mitte Oktober Vizepräsident der SP Tessin. In einer zweiseitigen Begründung zu seinem Rücktritt nennt der ebenfalls an der Supsi tätige Ökonom unter anderem das «miserable Diskussionsklima» innerhalb der Partei.

Von der Parteilinie abweichende Meinungen würden als «nicht links» abgetan und die betreffenden Mitglieder auf der persönlichen Ebene angegriffen. Das führe dazu, dass viele schwiegen. Sein Rücktritt sei deshalb als «Akt der Rebellion» zu verstehen, hielt Roncelli in seinem Brief fest.

Gegenwärtig habe in der Kantonalpartei nur «eine Vision von Sozialismus» Platz, fügte der ehemalige Vizepräsident auf Anfrage von Keystone-SDA an. Er sei überzeugt, dass sich die wenigsten Anhänger linker Werte von einer solch «dogmatischen Idee von Sozialismus» vertreten fühlten.

Ganz anders beurteilt SP-Co-Präsidentin Laura Riget die Situation. «Der Dialog ist uns extrem wichtig.» Die Parteileitung habe aufgrund der zunehmenden Kritik den unterschiedlichen Positionen und Visionen Raum geben wollen und dafür eine spezielle Sitzung einberufen. Jedoch seien weder Amalia Mirante noch ihre Unterstützer erschienen.

Mirante gehe es vielmehr um persönliche Ambitionen, denn um politische Anliegen, zeigt sich Riget überzeugt. Dazu passe, dass sie auch nicht bereit gewesen sei, sich für den Tessiner Grossen Rat aufstellen zu lassen oder ein anderes Amt auszufüllen. Ausserdem vertrete sie bisweilen Positionen, die nicht mehr der Parteilinie vereinbar seien.

Dies sieht Amalia Mirante freilich anders. Sie habe sich in den letzten Jahren der Forschung und ihrer Arbeit als Dozentin verschrieben, da sei kein Raum für eine Mitarbeit in der Tessiner Legislative geblieben. Für das Amt der Regierungsrätin würde sie ihre Arbeit jedoch aufgeben.

Und warum lanciert die Partei kein Zweierticket mit Carobbio und Mirante? Hier die erfahrene Gesundheitspolitikerin des linken Flügels, dort die wirtschaftsnahe Bildungspolitikerin?

Der links-grüne Tessiner Pol habe sich einer «Erneuerung» der Gesellschaft verschrieben, erklärte Riget. Deshalb gehörten auf die rot-grüne Liste neben einer erfahrenen Politikerin auch eine «Kandidatur der Erneuerung». Letzere erfülle Yannick Demaria perfekt.

Kommt am Sonntag das von der Findungskommission vorgeschlagene Zweierticket durch, erhält Carobbio de facto keine interne Konkurrenz. Eine 22-köpfige Gruppe hat jedoch einen Änderungsantrag für das Vorgehen lanciert: Sie verlangt eine offene Diskussion zu den drei möglichen Kandidaten sowie den Verzicht auf das Kandidaten-Konstrukt «Erfahrung / Erneuerung».

Sie wisse noch nicht, was sie tue, falls sie keinen Platz auf dem offiziellen finde, sagte Mirante. «Aber eines ist sicher: Ich bleibe dem Tessin erhalten und werde mich weiter für meine Anliegen einsetzen.»

(SDA)

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