Frau Bundesrätin, am 1. Juni eröffnen Sie den Gotthard-Basistunnel. Warum sollten wir an die Eröffnungsfeier kommen?
Der Tunnel ist ein Jahrhundertbauwerk! Nicht nur wegen dem Geld, das wir in die NEAT-Projekte gesteckt haben. Es ist der längste Bahntunnel der Welt, eine technische Meisterleistung, darauf dürfen wir stolz sein. Der Tunnel widerspiegelt unsere Verkehrspolitik und der Alpenschutz ist damit kombiniert. Die Eröffnung wird in ganz Europa grosse Wirkung entfalten.
Inwiefern?
Wir werden 1100 Gäste haben, rund 300 Medienschaffende aus der ganzen Welt werden teilnehmen. Diese Woche hat auch der französische Staatspräsident François Hollande sein Kommen definitiv bestätigt. Damit werden er, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi und weitere Staatsgäste an der Feier teilnehmen. Das zeigt, welche Bedeutung der Tunnel für Europa hat. Er gehört zum strategischen Güterverkehrskorridor Rotterdam-Genua. Die Schweiz verwirklicht mit dem Gotthard ein Herzstück, macht etwas für ganz Europa und wir schultern das ganz alleine. Bewilligt vom Volk. Für diese Leistung werden wir bewundert.
Die Feier kostet den Steuerzahler viel Geld. Haben Sie mit zu grosser Kelle angerichtet?
Das Bauwerk steht für unsere Werte, für Innovation und Präzision! Die acht Millionen Franken, die der Bund einsetzt – eine Million kommt noch mit Sponsorenbeiträgen dazu – sind vernünftig investiert. Wenn ausländische Staatspräsidenten kommen, kosten auch die Sicherheitsmassnahmen etwas. Wir klotzen nicht, aber eine würdige Feier hat ihren Preis und lohnt sich auch mit Blick auf die weltweite Ausstrahlung. Bei der kulturellen Inszenierung wirken 600 Darsteller mit, darunter viele Laienschauspieler, auch das hat eine Breitenwirkung. 1000 Leute aus der Bevölkerung dürfen zudem in zwei Sonderzügen als erste durch den Tunnel fahren. Am Wochenende organisieren wir zudem einen Publikumsanlass mit vier verschiedenen Festplätzen auf beiden Seiten des Gotthards. Es ist ein Tunnel des Schweizer Volks. Der Bundesrat hofft auf ein Volksfest und da sollte man nicht «schmürzeln».
Was war Ihnen wichtig, wenn es um die Inhalte der Feier geht?
Kein Landesteil sollte vergessen gehen. Und dass die Bedeutung des Tunnels für die Verbindung zwischen Nord und Süd betont wird. Das wollen wir symbolhaft zeigen. Und ich hoffe, dass die Feier zu einem Wir-Gefühl beiträgt. Wir Schweizer nörgeln gerne und kritisieren schnell. Aber gerade in schwierigen Phasen, jetzt mit dem starken Franken und steigenden Arbeitslosenzahlen, scheint mir ein Anlass wichtig, bei dem wir zusammen stolz sein können, der Mut macht. Ich erhoffe mir von der Feier, dass ein Ruck durchs Land geht.
Können Sie die Versprechungen von 1992, dass die Reisezeiten zwischen Nord und Süd (Zürich-Mailand) halbiert werden, einhalten?
In der NEAT-Botschaft von 1990 hiess es 2 Stunden und 35 Minuten. In der Finanzierungs-Botschaft von 1996 zwischen 2 Stunden 30 und 45 Minuten. Mit dem Ceneri-Tunnel sind wir nun bei 2 Stunden und 58 Minuten. Wir landen nur ganz knapp daneben. Ich finde die Schätzungen, die Jahrzehnte im Voraus gemacht wurden, sehr präzis. Für die Bevölkerung, für die Passagiere ist der Zeitgewinn wichtig. Nur: Das Bauwerk dient ja vor allem auch der Verkehrsverlagerung. Es ist aber ein toller Nebeneffekt, wenn man mit dem Zug von Zürich nach Mailand einen grossen Zeitgewinn verbuchen kann. Immerhin steht die Bahn auf dieser Strecke auch in Konkurrenz zum Flugverkehr.
Wir werden schon bald über die Milchkuh-Initiative abstimmen. Es ist vor allem Finanzminister Ueli Maurer, der die Vorlage bekämpft. Würde es Sie als Verkehrsministerin nicht reizen, mehr in die Diskussion einzugreifen?
Der Bundesrat bekämpft die Vorlage gemeinsam. Es ist eine fiskalische Übung und darum vertritt primär der Finanzminister die Gegenposition zu dieser Initiative. Sie ist eine reine Umverteilungsvorlage, die man sonst fast nur von linker Seite kennt. Es geht darum, dass man Gelder von einem Topf nimmt und in ein anderes Kässeli füllt. Man provoziert so ein Loch in der Bundeskasse und sagt nicht, wie man das dann wieder füllen soll.
Warum plädieren Sie aus verkehrspolitischer Sicht für ein Nein?
Ich bin mit den Initianten einig, dass wir mehr Geld für die Strasseninfrastruktur brauchen. Der Unterhalt des bestehenden Netzes kostet immer mehr – ähnlich wie bei der Bahn. Tunnel und Brücken sind in die Jahre gekommen und müssen vielerorts saniert werden. Wir sind uns auch einig, dass die Staustunden schaden. Wir müssen investieren, um Engpässe zu beseitigen. Ich wehre mich aber gegen das Bild, dass Automobilisten Milchkühe sind. Heute ist die Finanzierung der Strassen auf mehrere Schultern verteilt. Die Mineralölsteuer wurde seit 1993 nicht mehr angepasst, der Zuschlag ist seit 1974 gleich hoch. Man kann darum nicht behaupten, dass der Staat die Autofahrer ausnimmt, zumal die Benzinpreise historisch tief sind und die meisten Autos heute nur noch einen Bruchteil des Treibstoffs von damals verbrauchen. Wir haben ja nicht einmal die Teuerung überwälzt. Dagegen schlägt beim Bund die Teuerung bei den Kosten der Bauprojekte voll durch. Der Automobilist hatte somit eine doppelte Rendite: Heute fährt man mit einem Tank Benzin viel weiter als früher - und kommt real steuerlich erst noch günstiger weg. Die Lösung mit dem NAF, dem Nationalstrassenfonds, der aus verschiedenen Quellen gespeist wird, ist darum besser und auch aus Sicht der Autofahrer vertretbar. Der Bund wird deutlich mehr bezahlen und die Automobilisten ein wenig mehr. Der Aufschlag von vier Rappen dürfte zudem erst etwa 2020 erfolgen.
Sie sagen: Das Konzept des Parlamentes mit dem Nationalstrassenfonds ist besser als die Initiative?
Ja, es ist besser abgestützt und reisst kein unnötiges Loch in die Bundeskasse. Wenn 1,5 Milliarden Franken plötzlich fehlen, wo soll man das kompensieren? Von den Kürzungen betroffen wären unter anderem die Bildung und Forschung, die Landwirtschaft oder der Regionale Personenverkehr. Wir sind jetzt schon mit grossen Sparübungen beschäftigt. Ich höre zwar aus dem Parlament immer, man wolle sparen. Aber bisher sind nicht viele Sparprogramme durchgekommen – und vor allem nicht in der Höhe, in der man sie ursprünglich plante. Und jeder hat dann immer eine Ausrede: Aber nicht bei den Bauern, aber nicht bei der Armee, aber nicht bei der Bildung, aber nicht bei der Entwicklungshilfe… Am Schluss bleiben nur noch Bedenkenträger und eine kleines Paket. Dazu kommt: Wird die Initiative angenommen, würden die Sparübungen auch die Kantone treffen. Darum lehnen auch sie die Initiative dezidiert ab und finden, dass unser Paket ausgewogener und fairer ist.
Direkt zuständig sind Sie im Kampf gegen die Service Public Initiative. Die Befürworter kritisieren die hohen Löhne der Chefs von SBB, Swisscom und Post. Ist es für Sie als Bundesrätin nicht frustrierend, wenn ihre Angestellten mehr als das Doppelte verdienen?
Wenn sie ihren Job gut machen, ist es gerechtfertigt (lacht). Als Bundesräte stehen wir auch in einem gewissen Wettbewerb, politisch. Wenn ich zurücktrete, gibt es im Bundeshaus Viele, die den Job für diesen Lohn machen. Ein Swisscom-CEO steht im Wettbewerb mit anderen Telekomanbietern in Europa. In den Kantonen verdient ein Kantonalbank-CEO auch mehr als ein Regierungsrat. Ich kann die Kritik aber nachvollziehen, die Löhne müssen verhältnismässig bleiben. Ich finde die Löhne der Chefs der bundesnahen Unternehmen, die sich zwischen 700'000 Franken bis zu 1,7 Millionen bei der börsenkotierten Swisscom bewegen, vertretbar. Von der Initiative wären ja aber nicht nur jene der CEO’s betroffen, sondern alle Mitarbeitenden.
Moment: Die unteren Löhne in der Bundesverwaltung sind im Vergleich zur Privatwirtschaft sehr hoch.
Da haben Sie recht, der Bund will ein guter, sozialer Arbeitgeber sein. In der mittleren Etage, wenn es etwa um Abteilungsleiter geht, verdienen Sie in der Privatwirtschaft in der Regel mehr.
Heute liefern vor allem Post und Swisscom Millionengewinne der Bundeskasse ab. Doch diese Betriebe gehören uns. Sie sollten Gewinne für Preissenkungen einsetzen und keine verdeckten Steuern erheben.
Die höchsten Einnahmen erhält der Bund ja von der Swisscom, sie macht viel Gewinn und sie hat die Preise in der Grundversorgung stetig gesenkt. Sie investiert zudem viel im Bereich der Glasfasernetze, des Hochbreitbandnetzes, sie steckt jährlich 1,7 Milliarden Franken in Ausbau und Modernisierung ihrer Netze. Die Initiative will aber das Streben nach Gewinn verbieten. Wonach wollen sie denn streben? Dann verwalten sie nur noch, was sie haben. Wir haben diese Anstalten in Unternehmen umgewandelt, damit sie effizienter und besser werden und zu Gunsten des Kunden Kosten senken. Post und Co. müssen flexibel sein und mit dem technologischen Wandel Schritt halten können. Wenn die Post beim gelben Büechli stehen geblieben wäre und die Digitalisierung verschlafen würde, wäre sie eine lahme Ente. Wir sind im Telekombereich ja auch nicht beim Wandtelefon stehengeblieben, sondern telefonieren mit dem Handy.
Genossenschaften wie Coop, Migros oder die Mobiliar streben auch nicht nach Gewinnmaximierung, funktionieren aber bestens. Warum soll das nicht auch für die Post oder die Swisscom möglich sein?
Auch diese Unternehmen streben nach Gewinn, aber nicht nach einer Maximierung. Bei den bundesnahen Betrieben ist das ebenso. Wir geben unseren Firmen auch nicht vor, möglichst viel Gewinn zu machen. Sie brauchen aber Gewinne, um in neue Dienstleistungen und Produkte zu investieren. Entscheidend ist die Leistung. Die Post hat im Briefverkehr am Schalter innert 15 Jahren einen Rückgang von 63 Prozent erlitten. Sie und ich, wir verschicken nun halt mehr Emails als Briefe. Also ist zu überlegen, wie man trotzdem bestehen kann, um nicht ins Minus zu kommen. Die Post muss sich weiterentwickeln können.
Gerade ältere Leute leiden unter der Schliessung von Poststellen. Viele meckern über hohe Roaming-Tarife und unpünktliche Züge. Haben Sie gar kein Verständnis für das Unbehagen, das die Initianten aufgenommen haben?
Reklamationen gibt es immer, zum Teil sind sie auch berechtigt. Aber: Unsere Grundversorgung ist auf hohem Niveau, das Angebot sehr gut. Viele Poststellen wurden etwa durch Agenturen ersetzt. Das heisst, man kann z.B. in die Landi oder in den Quartierladen gehen und dort Pakete aufgeben. Die Post bietet auch einen Hausservice an. Die Poststelle wird durch neue Dienste ersetzt. Bei der SBB hatten wir noch nie ein derart grosses Angebot und einen dichten Fahrplan wie heute. Die meisten Reklamationen betreffen verschmutzte Toiletten oder überfüllte Züge.
Alle Parlamentarier lehnen die Initiative wie Sie ab. Das ist aber auch kein Wunder, haben doch alle Politiker vom Bund ein GA der 1. Klasse spendiert bekommen. Auch Sie kennen die Alltagsprobleme vieler Pendler doch nicht.
Ich fahre extra regelmässig auch 2. Klasse! Zu Stosszeiten gibt es auf manchen Strecken ein Sitzplatzproblem, doch daran ändert die Initiative nichts. Das ändern wir mit dem Bahnfonds FABI und dem künftigen Ausbau der Bahninfrastruktur. Meist reicht es, eine halbe Stunde früher oder später zu reisen oder ganz vorne oder hinten in den Zug einzusteigen. Da gibt es fast immer freie Plätze. Wir motivieren die SBB, dies aktiver mit Meldetafeln oder SMS den Kunden zu kommunizieren. In der Schweiz stört man sich über fünf Minuten Verspätung, aber im Vergleich zu anderen europäischen Bahnen ist das Jammern auf hohem Niveau.
Sie haben sich kürzlich selbst über die SBB beschwert und die schlechten Handy-Verbindungen kritisiert. Haben sich die Bundesbahnen gemeldet?
Die SBB sagt, sie seien im internationalen Vergleich gut. Das stimmt, aber wir haben viele Beschwerden. Vom Service her ist es wichtig, im Zug WLAN zu haben. Dann steigt die Attraktivität der Bahn weiter.
Angenommen, das Volk sagt Ja zur Initiative: Wie spüren wir das im Alltag?
Das würden Sie schnell merken, weil Quersubventionierungen wegfallen und Innovationen ebenso. Wir müssten die Leistungsvereinbarungen mit den bundesnahen Unternehmen und Gesetze anpassen. Man müsste festlegen, wie viel Gewinn noch drinliegt. Doch wer entscheidet das? Die Initiative ist nicht durchdacht und es gibt verschiedene Unklarheiten. Klar ist: Wir alle wollen besseren Service Public, doch mit der Initiative erreichen wir das pure Gegenteil.
Stichwort Service Public: Sie arbeiten an einem Bericht für diesen im Medienbereich.
Ja, wir wollen ihn fristgerecht vor den Sommerferien publizieren und dann eine breite Diskussion führen, auch mit den Medienunternehmen. Der digitale Wandel wird sicher ein zentrales Thema sein. Werbegelder fliessen von den Printtiteln ins Internet. Auch der TV-Bereich wird in diesem Zusammenhang analysiert. Entscheidend ist, dass die Medienvielfalt erhalten bleibt. Das ist staats- und demokratiepolitisch wichtig.
Man hört, Sie wollen der SRG im Internet mehr Spielraum geben.
Das Onlinewerbeverbot bleibt bestehen, das kann ich versprechen. Wie die Welt in zehn Jahren aussieht, wenn wir immer mehr und zeitlich individuell via Smartphone und Tablet Medieninhalte konsumieren, kann heute wohl niemand genau sagen. Wir müssen eine zweite Etappe im Auge haben, wenn die Medienwelt immer konvergenter wird. Wie soll der Service Public dann sichergestellt werden?
Alt Bundesrat Christoph Blocher mokiert sich über eine angeblich einseitige Berichterstattung gegen die SVP.
Ich finde nicht, dass Medien generell schlechter geworden sind. Die Journalisten sind besser ausgebildet als früher, die Auswahl an Radio- und TV-Stationen und Onlineportalen ist riesig. Im Print ist der Kosten- und Zeitdruck einfach sehr gross, Recherche leidet, sobald alles knapp wird. Das bereitet mir Sorgen, denn Print ist wichtig. Die SRG muss unabhängig bleiben und eine ausgewogene, unparteiische Berichterstattung garantieren. Private Zeitungen dürfen Meinungsblätter sein. Wenn es transparent ist, kann der Kunde damit umgehen. In der heutigen Informationsflut werden Medien demokratiepolitisch immer wichtiger.
Sie haben die Frage nicht beantwortet. Sind die Medien einseitig gegen die SVP?
Ach, jede Partei fühlt sich doch ungerecht behandelt. Auch jeder Politiker würde gerne mehr Aufmerksamkeit erhalten. Über was Medien berichten und über was nicht, ist Ihre redaktionelle Freiheit.
Was halten Sie von den Nazi-Vergleichen des ehemaligen Kollegen?
Das muss er selber verantworten, ich mag das nicht kommentieren.
Sie wirken motiviert. Sind Sie auch 2018 noch Mitglied des Bundesrats?
Man weiss nie, was morgen kommt. Aber vorderhand freue ich mich auf die anstehenden Projekte. Und das Präsidialjahr steht an.
Sie werden also 2017 Bundespräsidentin.
Ja, wenn das möglich ist. Wenn ich gesund bin und am Morgen weiter gerne zur Arbeit gehe, mache ich weiter. Wenn man ausgelaugt ist und keine Ideen mehr hat, wäre es Zeit für neue Kräfte. Es freut mich nach wie vor, das Land mitgestalten zu können und mit dem NAF und der Energiestrategie sind ja wichtige Projekte unterwegs.
Ihre Partei hat mit Gerhard Pfister einen neuen Präsidenten gewählt. Er stand auch Ihren Projekten teilweise kritisch gegenüber.
Parlamentarier haben Ihre Freiheiten. Er und Frau Gössi waren etwa im Initiativkomitee der Milchkuh-Initiative. Als Parteichefs müssen sie nun die Parole ihrer Partei vertreten. Das ist zwar für beide eine neue Rolle. Die CVP hat mit Gerhard Pfister aber einen rhetorisch geschliffenen und erfahrenen sowie dossierfesten Parlamentarier gewählt. Das ist eine gute Ausgangslage für die Partei.
Sie waren selbst Parteipräsidentin. Was ist ihr wichtigster Tipp an Pfister?
Teamplayer sein. Medien wollen immer sofort eine Antwort, doch gerade für eine Volkspartei ist ein Umfeld, auf das man sich verlassen kann, enorm wichtig. Daher braucht es manchmal ein Telefon, bevor man antwortet. Man darf ja nicht das Gefühl haben, man wisse alles besser.