Ein junger Mann kommt in Zug spontan auf Gerhard Pfister (60) zu. «Ich ging zu Ihnen in die Schule. Nächstes Jahr starte ich mein Medizinstudium.» Pfister ist seit Jahrzehnten Schulleiter. Erst übernahm er das Institut Pfister von seinem Vater, anschliessend gründete er mit einer Mitstreiterin die private Tagesschule Elementa in Neuheim ZG.
Der Mitte-Präsident freut sich, fragt nach. Der Stress der vielen Termine im Wahlkampf fällt dank der Begegnung mit dem jungen Mann ab. Er setzt sich an den See und ist nun ganz da.
Sie waren acht, als Ihre Mutter starb. Welche Erinnerungen haben Sie? Gerhard Pfister: Die letzten fünf Jahre ihres Lebens war sie krebskrank und von der Krankheit gezeichnet. Ich erinnere mich vor allem daran. Meine Brüder waren bei ihrem Tod fünf- und neunjährig, meine Schwester elf. Ein Kindermädchen kümmerte sich um uns, mein Vater leitete die Schule.
Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
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Wie hat Ihr Vater Ihnen und Ihren Geschwistern die Todesnachricht überbracht?
Wir kamen von der Schule heim, laut und wild. Wir merkten aber sofort, dass etwas nicht stimmte. Unser Vater sass mit dem Arzt im Esszimmer und hat uns in ruhigem Ton mitgeteilt, dass unsere Mutter gestorben ist. Meine Schwester schrie auf, an das mag ich mich gut erinnern. Ich musste erst realisieren, was das bedeutet, was es heisst, wenn jemand tot ist. Ich weiss, dass mein Vater sehr mit dem Herrgott haderte.
Haben Sie Erinnerungen an die Beerdigung?
Meine Mutter wurde zu Hause bereit gemacht, und wir konnten uns so von ihr verabschieden. Am Tag der Beerdigung wurde ihr Sarg auf einer Kutsche zur Kirche gefahren. Es schneite und war kalt. Ältere Bewohner von Oberägeri erzählen mir, dass sie Mitleid mit uns Kindern hatten, wie wir am Grab bei Kälte und Schnee Kondolenzen entgegennehmen mussten. Ich glaube, dass es das Bild des trauernden Vaters mit seinen vier Kindern war, das die Menschen berührte.
Wie wichtig war Ihr Vater?
Sehr wichtig. Ich ging ins Internat in Disentis, danach studierte ich in Fribourg. Ich war viel weg, aber mein Vater war sehr präsent. Er sprach nicht gern über früher, fand, die Vergangenheit solle man ruhen lassen. Später erzählte er mir, dass er nach dem Tod meiner Mutter länger mit dem Schicksal gehadert hatte.
Wie hat Ihre Geschichte Sie geprägt?
Ich mache viel mit mir selber aus. Behalte Dinge, die mich beschäftigen, für mich und suche selber nach Lösungen. Der Grund dafür ist vielleicht, dass ich früh stark auf mich selbst gestellt war oder mich so fühlte. Das findet meine Frau manchmal nicht so lustig. Was mich auch ausmacht, ist, dass ich sehr stark rationalisiere, die Dinge distanziert anschaue und sie vernunftsmässig zu lösen versuche.
Stört Sie die zunehmende Emotionalisierung in der Politik?
Ich gestehe allen zu, die in der Politik tätig sind, dass sie nur das Beste für das Land wollen. Die Wege, die wir wählen, sind verschieden, das ist okay. Aber es ist sicher kein Zufall, dass ich in der Partei Die Mitte bin.
Die Mitte hat kein Profil …
… ja, ja, das hört man immer. Ich sehe das anders: Ich habe wenig Respekt vor denen, die zu wissen glauben, was die Wahrheit ist, nämlich nur ihre eigene. Die Polarisierung führt dazu, dass sich einzelne Gruppen nur selbst bestätigen und auf ihrer Weltsicht beharren. Wir hingegen wollen Verantwortung für tragfähige Lösungen übernehmen und hier vorangehen.
Ihr Vater starb, als Sie 32 waren. Was haben Sie von ihm gelernt?
Viel. Lustig ist, dass ich immer mehr werde wie mein Vater, obwohl ich als junger Mann vieles anders machen wollte. Er hat uns Kinder – nicht nur die eigenen, auch seine Schülerinnen und Schüler – Selbstbewusstsein gelehrt. An sich glauben, sich nicht beirren lassen, das tun, was einem Freude macht. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.
Sie und Ihre Frau Franziska haben keine Kinder. Beschäftigt es Sie, dass Ihre Blutslinie nicht weitergeführt wird?
Herrje, nein, überhaupt nicht. Ich bin nicht dynastisch denkend. Zudem habe ich tolle Nichten und Neffen, die die Pfisters weitertragen.
Sie sind 61 und wichtiger Akteur in der Politik. Alle Entscheide von heute beeinflussen die Zukunft der Jungen.
Ich verstehe, dass man uns Boomern vorwirft, zu viel konsumiert, zu unbeschwert gelebt zu haben. Und ich habe grosses Verständnis für neue Lebensentwürfe mit Teilzeit und weniger Konsum. Genauso wie ich überzeugt bin, dass die Jungen es richtig machen werden, so wenig glaube ich, dass unsere Generation sich schämen muss.
Aber müssten nicht mehr Junge im Parlament sitzen?
Jede und jeder kann sich wählen lassen. Das Volk soll entscheiden.
Gehörte Ihre Familie zu den «Mehrbesseren»?
Wir gehörten zum sogenannten Bildungsbürgertum, zum oberen Mittelstand. Die Generation meiner Eltern wie auch meine hatten das grosse Glück, in einer Zeit ohne Kriege und grosse wirtschaftliche Verwerfungen zu leben. Mit harter Arbeit konnte man sich Wohlstand erschaffen. Heute ist das fast unmöglich geworden, die Vermögensunterschiede nehmen drastisch zu. Das stellt uns vor grosse soziale Herausforderungen, und wir müssen zu den Ursprüngen und Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft Sorge tragen. Die heutige Generation hat nicht mehr die Sicherheiten und Gewissheiten, wie wir sie hatten.
Sie studierten Philosophie. Was sollen wir lesen, wenn wir traurig sind?
«Anleitung zum Unglücklichsein» von Paul Watzlawick.
Wer ermuntert zum Handeln?
Nietzsche, der sagt, dass wir uns am Diesseits orientieren sollen, nicht am Jenseits.
Wer ist Ihre politische Richtschnur?
Otfried Höffe, bei dem ich studieren durfte und der mahnt, dass Ethik und Moral auch in der Politik nicht vergessen werden dürfen.