Treffpunkt Bahnhof Thun BE. Kurz nach sechs Uhr gestern Morgen. Drei Nationalräte der Berner SVP stehen auf Perron 2: Adrian Amstutz (61), Albert Rösti (47) und Nadja Pieren (35). Leger gekleidet. Im Gepäck Laptop, Handy, Wissensdurst.
Das Trio macht einen Ausflug in den Süden. Nicht zum Plausch, sondern in politischer Mission und auf eigene Kosten. Von Mailand (I) nach Chiasso TI, auf der Reiseroute vieler Asylbewerber. Migration ist ein heisses Wahlkampfthema.
«Die Zunahme der Zahl der Asylbewerber in der Schweiz ist massiv. Ich will mich vor Ort orientieren, nicht nur nachplappern, was andere sagen», so Nadja Pieren. Albert Rösti ergänzt: «Je besser man Bescheid weiss, desto leichter kann man argumentieren. Wir wollten wissen: Wie funktioniert die Einreise für Leute ohne Papiere?»
Es ist 6.25 Uhr. Der Zug nach Mailand fährt über Brig VS und Domodossola (I). Vier Stunden später sind die Politiker im Mailänder Hauptbahnhof. Amstutz fällt auf: «Die Bahnsteige sind gepflegt. Hier lungert niemand rum. So schlimm scheint es mit den Asylsuchenden nicht zu sein.» Doch der SVP-Fraktionschef irrt. «Kaum waren wir aus dem Fahrkartenbereich raus, sassen da etwa 300 Menschen auf der Strasse», sagt Amstutz. Die meisten aus Schwarzafrika, vor allem Eritrea. Fast nur junge Männer. «Manche sahen recht verwahrlost aus», sagt Rösti, «die hatten weniger Gepäck dabei als wir für unseren Tagesausflug. Alles Burschen, die bei uns ein besseres Leben suchen.»
Die Nationalräte machen Fotos, steigen in den Eurocity nach Chiasso. Eine Handvoll Eritreer reist mit, sie wirken herausgeputzt. «Wie Touristen», sagt Amstutz. Später erfährt der Nationalrat: Die Schlepper kleiden die Flüchtlinge neu ein, bevor diese in die Schweiz reisen.
Ankunft in Chiasso. Das SVP-Trio folgt den Schweizer Grenzwächtern und den Eritreern. «Sie brauchen vier Buchstaben zu sagen, Asyl, dann sind sie am Ziel», wundert sich Nadja Pieren. Gepäckkontrolle. «Die haben alle nagelneue Sachen. Bei manchen hängt das Preisschild noch dran», stellt Amstutz fest.
Dann werden die Männer befragt. Tesfom ist 27 Jahre alt, er kommt aus Eritrea. Auf einem Kahn trieb er eine Woche vor der italienischen Küste, ehe die Rettung kam. Jetzt, sechs Tage später, ist er im Tessin.
«Warum in die Schweiz?», will Albert Rösti wissen. Hier herrsche Frieden, antwortet Tesfom, hier sei das Leben so viel besser. Amstutz: «Die Grenzwacht hat heute auf Befehl aus Bundesbern nur noch die Funktion eines Empfangskomitees. Über 90 Prozent der Asylbewerber aus Eritrea dürfen bleiben. Das spricht sich sicher herum. Die sagen zu ihren Freunden: ‹Kommt auch!›»
Ins Empfangs- und Verfahrenszentrum am Bahnhof dürfen die SVP-Parlamentarier nicht rein. Das gehe nur mit Genehmigung aus Bern, so die Direktion. Und die haben sie nicht. Ein Espresso in der Osteria. Dann fährt der Zug ins Berner Oberland.