Der Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal sei gravierend, schreibt der Berufsverband der Pflegefachleute (SBK) in einer Mitteilung. Heute werde nicht einmal die Hälfte der in Zukunft benötigten Pflegefachpersonen ausgebildet. Zudem sei die Aussteigerquote aus dem Beruf enorm hoch.
Der SBK will dieser Entwicklung nicht mehr länger zusehen und lanciert darum heute die Initiative «für eine starke Pflege (Pflegeinitiative)».
Initiative ist keine Überraschung
In der Verfassung soll nun neu festgeschrieben werden, dass Bund und Kantone die Pflege als wichtigen Bestandteil der Gesundheitsversorgung anerkennen und fördern und für eine ausreichende, allen zugängliche Pflege von hoher Qualität sorgen.
Sie sollen auch sicherstellen, dass eine genügende Anzahl diplomierter Pflegefachpersonen für den zunehmenden Bedarf zur Verfügung steht, wie SBK-Präsidentin Helena Zaugg den Text der Volksinitiative erläuterte.
Gesteigert werden soll auch die Attraktivität der Pflegeberufe. Dazu gehöre auch, dass die Pflegefachpersonen ihre eigenverantwortlich erbrachten Leistungen selbständig mit den Krankenkassen abrechnen dürfen. Zudem seien griffige Massnahmen für den Verbleib des Pflegepersonals im Beruf notwendig, wie etwa eine anforderungsgerechte Entschädigung.
Pflegerische Grundversorgung der Zukunft in Gefahr
Die Initianten widersprachen auch dem im Parlament vorgebrachten Argument, dass die eigenverantwortliche Abrechnung mit den Krankenkassen zu einer Mengenausweitung und damit zu höheren Kosten führen soll.
Man müsse bei der Beurteilung der Initiative auch die Kosteneinsparungen berücksichtigen. Es gebe weniger Komplikationen und weniger Wiedereintritte in Spitäler, wenn eine gute Pflege vorhanden sei. Es könne auch nicht sein, dass für jede pflegerische Verrichtung die Unterschrift eines Arztes notwendig sei, damit sie bezahlt werde. «Das ist letztlich ein administrativer Leerlauf», sagte Zaugg.
Wenn nicht endlich griffige Massnahmen gegen den Fachkräftemangel unternommen würden, sei die pflegerische Grundversorgung der Zukunft in Gefahr, warnte Zaugg. In den nächsten 30 Jahren werde die Zahl der über 65-jährigen Menschen um mehr als eine Million ansteigen.
Bis 2025 werde der Bedarf an Pflegepersonal im Vergleich zu heute um gut 20 Prozent steigen, das seien rund 40'000 Personen zusätzlich. Derzeit arbeiten bereits über 180'000 Menschen in der Pflege.
Bedarf an Personal nicht gedeckt
Gemäss dem im September 2016 veröffentlichten Versorgungsbericht der Gesundheitsdirektorenkonferenz und OdASanté wurden in den letzten fünf Jahren in der Schweiz nur 56 Prozent des jährlichen Pflegepersonalbedarfs ausgebildet. Bei den diplomierten Pflegefachpersonen waren es gar nur 43 Prozent, also weniger als die Hälfte.
Heute werde versucht, den Mangel mit ausländischem Personal zu kompensieren. Von 2010 bis 2014 seien bereits 40 Prozent der neu angestellten Pflegefachpersonen aus dem Ausland gekommen. In Zukunft werde dieses Potenzial aber nicht ausreichen, um das fehlend inländische Personal zu ersetzen, zumal auch die anderen Länder einen zunehmenden Bedarf an Pflegepersonal hätten.
Der Thurgauer CVP-Nationalrat Christian Lohr äusserte sich überzeugt davon, dass die Volksinitiative angenommen wird. Dann werde es wieder am Parlament sein und beim zweiten Nachdenken werde es sich erfahrungsgemäss bessere Gedanken machen, sagte er. «Es geht hier weder um links noch um rechts, es geht auch um Menschlichkeit», sagte Lohr.
Die Pflege ist eine tragende Säule der Gesundheitsversorgung
Die Tessiner SP-Nationalrätin Marina Carobbio wies darauf hin, dass im Parlament auf dem Buckel der Pflegenden eine Grundsatzdiskussion um die Aufhebung des Vertragszwangs lanciert worden sei. Aus diesem Grund habe ihre Partei eine schmerzhafte Entscheidung fällen und im Nationalrat gegen das Eintreten auf die parlamentarische Initiative stimmen müssen.
Für sie als Politikerin und vor allem auch als Ärztin sei klar, dass die Pflege eine tragende Säule der Gesundheitsversorgung sei. Aber diese Säule sei am bröckeln, weil zu wenig junge Leute einen Beruf im Pflegebereich ergriffen. «Das muss uns zu denken geben. Denn diese Lücke wird uns alle betreffen, als Angehörige, als Partnerinnen, als Mütter und Väter und nicht zuletzt als zukünftige Patientinnen.»
Die Initianten der Pflegeinitiative haben bis am 17. Juli 2018 Zeit, um die notwendigen 100'000 Unterschriften beizubringen. (SDA)