Beim Geheimdienst stapelt sich die Post. Rund 450 Gesuche um Dateneinsicht haben Privatpersonen seit Anfang Jahr bereits beim Nachrichtendienst des Bundes (NDB) gestellt. Das sind über sechsmal mehr Anfragen als im Schnitt in einem ganzen Jahr eingehen.
Die Gesuchs-Flut ausgelöst hat die Juso. Die Jungsozialisten haben vor einem Monat zur «Offensive» gegen die Schlapphüte geblasen. Mitglieder wurden aufgerufen, beim NDB anzufragen, welche Daten er über sie gesammelt hat. Der Nachrichtendienst muss solche Gesuche von Gesetzes wegen beantworten, wenn nicht spezielle Geheimhaltungs-Interessen dagegenstehen.
SP-Politikerin bespitzelt
Auslöser für die Aktion sind die Bespitzelungen des NDB gegen linke Politikerinnen und Parteien, die in den vergangenen Monaten bekannt geworden sind. So hat der Nachrichtendienst beispielsweise die Berner SP-Nationalrätin Margret Kiener-Nellen (66) ausgeschnüffelt. 70 Mal taucht der Name der Parlamentarierin in den Datenbanken des Geheimdiensts auf. So haben die Spione dokumentiert, dass sie einmal kurdische Aktivisten getroffen hat und vom Vizeaussenminister von Weissrussland empfangen wurde.
«Die vielen Einträge zu meiner Person sind Ausdruck einer Sammelwut beim Nachrichtendienst. Das erinnert stark an die Fichenaffäre der 80er-Jahre», sagte Kiener-Nellen der «SonntagsZeitung». Auch die Stadtberner Juso steht unter Beobachtung der Agenten.
«Überwachungswut hat nicht abgenommen»
«Linke sind in der Vergangenheit immer wieder überwacht worden», sagt Juso-Präsidentin Ronja Jansen (24). «Die aktuellen Fälle zeigen, dass die Überwachungswut überhaupt nicht abgenommen hat.»
Mit dem Aufruf wolle man Klarheit schaffen, wen der NDB im Visier hat, sagt Jansen. Konkret versuchen die Jungsozialistien herauszufinden, ob auch Klimastreikende überwacht werden.
Den Vorwurf, die Aktion sei eine Rache-Aktion gegen den Geheimdienst, um ihm möglichst viel Arbeit aufzuhalsen, weist die Juso-Chefin weit von sich. Aus einem Facebook-Post der Juso Stadt Bern geht aber hervor, dass zumindest einige Mitglieder die Aktion als Retourkutsche ansehen. Sie ruft die Sektion dazu auf, den Geheimdienst gemeinsam zu «überfordern».
NDB im Stress
Tatsächlich kommt der NDB mit der Bearbeitung der Gesuche derzeit kaum mehr nach. In einem Brief, den ein Gesuchsteller auf Facebook veröffentlicht hat, informiert der Geheimdienst, dass die Beantwortung der Anfrage «voraussichtlich länger als die Frist von 30 Tagen in Anspruch nehmen wird». Dies «aufgrund der hohen Anzahl zu bearbeitenden Auskunftsgesuchen», die man «in den letzten Wochen und Monaten» erhalten habe.
Auf Anfrage von BLICK betont der Geheimdienst dennoch, dass die Gesuchs-Flut keinen Einfluss auf seine operative Tätigkeiten habe. Der Anstieg bedeute zwar mehr Arbeit für den Nachrichtendienst, sagt Sprecherin Isabelle Graber. «Aber er hindert den NDB nicht daran, seinen Auftrag zu erfüllen.»