Millionäre bekommen Rente und Politiker finden das gut
So krank ist die IV

Es gibt Menschen in der Schweiz, die verdienen im Jahr über eine Million und beziehen nebenbei eine IV-Rente. Die meisten Politiker und auch ein Professor sehen darin kein Problem.
Publiziert: 20.02.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 01:27 Uhr
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Manch Büezer kommt mit Teilrente und tiefem Lohn kaum über die Runden. Der Millionär hat schon viel – und bekommt dank der IV-Rente ein hübsches Trinkgeld obendrauf.
Foto: Igor Kravarik
Von Christoph Lenz und Viviane Bischoff

Über hundert Personen in der Schweiz beziehen eine IV-Rente, obwohl sie mehr als 250 000 Franken pro Jahr verdienen. Sie erhalten zusätzlich zu ihrem Einkommen zwischen 1170 und 2340 Franken pro Monat. Drei IV-Bezüger sind sogar Einkommensmillionäre! Dies geht aus einer Statistik des Bundes hervor, über die der «Tages-Anzeiger» gestern berichtete.

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Viele IV-Bezüger gehen einer Arbeit nach. Und viele kommen mit Teilrente und tiefem Lohn nur knapp über die Runden. In Einzelfällen aber kann das Einkommen auch hoch, ja astronomisch hoch sein. Der Anspruch auf eine  IV-Rente bleibt trotzdem bestehen.

GLP-Nationalrätin beklagt «Systemfehler»

Der grünliberalen Nationalrätin Margrit Kessler (SG) passt dies überhaupt nicht: «Das ist ein krasser Systemfehler!» Es gehe nicht an, dass die IV Gutverdienenden Geld verteile, während sie bei normalen Arbeitnehmern knausrig sei. Erst recht, weil eine Teilrente von 1170 Franken für Leute mit hohem Einkommen nur «ein Trinkgeld» dar­stelle. «Andere könnten dieses Geld viel besser gebrauchen», so Patientenschützerin Kessler.

Sie fordert deshalb, dass der Anspruch auf eine IV-Teilrente ab einem gewissen Einkommen erlischt. «Reiche Menschen, die keinen Lohn mehr beziehen, weil sie vollinvalid sind, sollen aber weiterhin eine volle IV-Rente erhalten», erklärt Kessler. In Kürze wird der Bundesrat zu diesem Vorschlag Stellung nehmen.

In der Politik stösst Kessler mit ihrer Idee allerdings auf wenig Begeisterung. SVP-Nationalrat Sebastian Frehner (BS) erinnert daran, dass die IV eine Versicherung ist: «Wenn der Versicherungsfall eintritt, werden Leistungen fällig – unabhängig von der finanziellen Lage einer Person.» Dass unter den IV-Bezügern auch Personen mit einem hohen oder sehr hohen Einkommen seien, sei «normal», so Frehner.

Auch die Sozialdemokratin Silvia Schenker (BS) will nicht am Versicherungsprinzip rütteln. «Ganz sicher ist es keine Lösung, IV-Renten zu Bedarfsleistungen zu machen, indem man Leute mit höheren Einkommen ausnimmt», sagt Schenker.

Professor: «Dem Staat bleibt ein Plus»

Thomas Gächter, Professor für Sozialversicherungsrecht an der Universität Zürich, ist ebenfalls skeptisch. Denn eine Einkommens-Obergrenze für IV-Renten käme einem Systemwechsel gleich. «Dann wären Sozialabgaben keine Versicherungsprämien mehr, sondern eine einkommensabhän­gige Steuer.»

Zudem weist der Experte Gächter darauf hin, dass IV-Bezüger auf ihrem Erwerbseinkommen auch AHV- und IV-Beiträge bezahlen. Und zwar nicht zu knapp: «Wer eine Mil­lion Franken verdient, muss zwischen rund 67 000 und 100 000 Franken an die Sozialversicherungen abgeben», rechnet Gächter vor. Und das bedeute: «Unter dem Strich bleibt dem Staat ein Plus.»

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