Der Druck auf das Asylesen nimmt zu. Das Bundesamt für Migration (BFM) rechnet für 2015 mit bis zu 31 000 Asylgesuchen. Viele der Flüchtlinge kommen übers Mittelmeer. Angesichts von Tausenden Toten denkt BFM-Direktor Mario Gattiker im BLICK-Interview laut darüber nach, den Asylsuchenden einen legalen Weg nach Europa zu ermöglichen. So könne man die kriminellen Schlepper ausschalten. Eine Idee Österreichs mit Asylzentren im Nahen Osten findet Gattiker prüfenswert.
BLICK: 3400 Flüchtlinge starben dieses Jahr im Mittelmeer. Was macht die Schweiz, damit es 2015 nicht wieder zu solchen Tragödien kommt?
Mario Gattiker: Europa ist gefordert, das Möglichste zu tun, um die Menschen auf dem Meer zu retten. Aber vor allem muss sich die instabile Situation in Libyen ändern, und da ist die internationale Staatengemeinschaft gefordert. Die Schweiz engagiert sich in verschiedensten Bereichen, namentlich auch im Rahmen der europäischen Grenzbehörde Frontex.
Die SVP sagt, man müsse die Leute in Libyen an der Überfahrt hindern, ihnen dort helfen. Ist das realistisch?
Angesichts der Dramen sind wir gefordert: Jeder Gedanke ist legitim, der versucht, die Flüchtlinge von lebensgefährlichen Überfahrten abzuhalten. Es gibt auch Diskussionen darüber, den wirklich schutzbedürftigen Flüchtlingen einen legalen Weg nach Europa zu verschaffen.
Wie könnte so ein legaler Zugang nach Europa aussehen?
Österreich hat die Idee lanciert, in den Herkunftsregionen eine Art Asylzentren zu führen, zum Beispiel in Jordanien oder im Sudan. Solche Überlegungen sind berechtigt, aber mit weitreichenden Fragen verbunden, die es sorgfältig abzuwägen gilt.
Flüchtlingsfamilien zahlen ja heute bis zu 20 000 Franken für eine gefährliche Schlepperreise.
Das sind enorme Summen. Die Flüchtlinge werden ausgebeutet. Die kriminellen Schlepper agieren skrupellos, ohne Rücksicht auf Menschenleben. Diesen modernen Sklavenhandel müssen wir bekämpfen. Das ist eine prioritäre Aufgabe für die Staatengemeinschaft.
Erwarten Sie nächstes Jahr nochmals eine Welle von Asylgesuchen aus Eritrea?
Wie gross die Anzahl sein wird, können wir nicht voraussagen. Aus Eritrea werden aber weiterhin Asylsuchende kommen, auch wegen der immer grösseren Diaspora. Die Schweiz ist keineswegs das einzige Zielland.
Hilfe vor Ort ist wichtig, auch in den Ländern um Eritrea. Was macht die Schweiz?
Wir versuchen, den Flüchtlingen in der Region Schutz zu bieten. Allein Äthiopien beherbergt rund 600 000 Flüchtlinge, ein grosser Teil aus Eritrea. Auch der Sudan nimmt viele auf. Wir unterstützen dort etliche Projekte internationaler Organisationen – beispielsweise zum Schutz von Menschenhandelsopfern.
Man liest aber von Flüchtlingen, die aus der Schweiz in die Ferien nach Eritrea reisen. Was machen Sie mit diesen Leuten?
Das wäre ein Asylmissbrauch. Wenn man das feststellt, führt das zu einem Asylwiderrufsverfahren.
Hat die gute Sozialhilfe in der Schweiz eine Sogwirkung, zum Beispiel auf Eritreer?
Man kann nicht ausschliessen, dass die Sozialhilfe für die Wahl des Ziellandes ein Faktor ist. Der bedeutendere Faktor für Eritreer ist aber, dass hier schon rund 25 000 Landsleute leben.