Diese Woche wurde SP-Präsident Christian Levrat (47) überdeutlich: «Wie wir unsere Löhne schützen», so der Freiburger im BLICK, «geht Brüssel nichts an.»
Paul Rechsteiner (65), SP-Ständerat und Präsident des Gewerkschaftsbundes, nennt die EU-Kommission «neoliberale Hardliner». Doch die Irritationen über die Union beschränken sich nicht auf das Hickhack bei den Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU.
Die Schweizer Linke stösst sich insbesondere auch an der Migrationspolitik der EU. Der Flüchtlingsgipfel von Ende Juni, wo eine Verschärfung der Migrationspolitik und ein verstärkter Schutz der Aussengrenzen propagiert wurde, treibt so manchem SP-Prominenten die Zornesröte ins Gesicht.
Etwa Nationalrat Cédric Wermuth (32). «Ich kann nicht sagen, dass mich die Ergebnisse des Gipfels überrascht haben. Leider», sagt der Aargauer. «Die EU hat schon in den letzten Jahren eine Politik mitverantwortet, die Tausende elendiglich hat im Mittelmeer verrecken lassen.» Damit trete sie ihre Ideale und Werte mit Füssen. «Das mitansehen zu müssen, tut richtig weh.»
Die solidarische Union gibt es in der Flüchtlingsfrage nicht
In ihrer jetzigen Verfassung entspricht die EU so gar nicht der linken Vorstellung einer überstaatlichen, solidarischen Union. «Wir müssen wohl einen politischen Generationenwechsel in Europa abwarten», sagt Wermuth. Aber: «Ich weigere mich, auch die Idee aufzugeben, man könne Europa nicht sozial und gerecht umbauen.»
In die gleiche Kerbe schlagen die Grünen. «Wir fühlen uns als Teil Europas, doch wir haben die EU nie idealisiert», betont Parteipräsidentin Regula Rytz (56, BE). Die Flüchtlingspolitik stelle alles in Frage, was aus der Erfahrung von zwei Weltkriegen geboren worden sei, sagt die Bernerin: «Menschlichkeit, Grundrechte, Solidarität.» Dank der europäischen Grünen gebe es aber auch positive Entwicklungen, etwa beim öffentlichen Beschaffungswesen oder beim Datenschutz.
Die SVP freuts
Rytz schlägt von der Migrationspolitik den Bogen zum Arbeitnehmerschutz. Auch für die Grünen sind die flankierenden Massnahmen unantastbar. «Eigentlich sollte sich die EU hier ein Beispiel an der Schweiz nehmen», so Rytz. Würden die Arbeitnehmenden besser geschützt, «fällt es den Rechtspopulisten ungleich schwerer, mit ihrer Hetze gegen Migranten zu reüssieren. Unsicherheit und Angst sind der Nährboden von Hass.»
Den bürgerlichen Parteien fällt die Abgrenzung gegenüber Brüssel naturgemäss leichter. Der proeuropäische Flügel der FDP ist schon seit Jahren verkümmert. Der Freisinn betont stattdessen bei jeder Gelegenheit die Souveränität der Schweiz – während zu seiner Rechten die SVP mit ihrer Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit endgültig aufs Ganze geht.
Bei der SVP beobachtet man gerade die Auseinandersetzung um den Lohnschutz mit einer kaum verhohlener Befriedigung. «Man kann nicht unser Wohlstandsniveau halten und sich gleichzeitig immer stärker der EU annähern», sagt SVP-Chef Albert Rösti (50, BE). «Dieser linke Widerspruch bricht nun bei den flankierenden Massnahmen auf.» Ein Bruch, gross genug, das angestrebte Rahmenabkommen mit der EU alsbald zu verschlucken.