BLICK: Sie haben sich im Vorfeld der Wahl für Hillary Clinton ausgesprochen. Wie viele Tränen haben Sie nun vergossen?
Micheline Calmy-Rey: Natürlich hatte ich mir gewünscht, dass eine Frau ins Weisse Haus einzieht. Für Frauen wäre es ein wichtiges Symbol gewesen, dass eine von ihnen oberste Befehlshaberin des wichtigsten Landes der Welt ist, inklusive der Gewalt über Atomwaffen. Doch offensichtlich bleibt das weiterhin eine Männerdomäne. Weder Clintons Erfahrung noch ihre Kompetenz haben gereicht, um die Amerikaner zu überzeugen. Geweint habe ich aber nicht. Leider war dieses Ergebnis zu erwarten.
Warum?
Die Wahl von Donald Trump ist das Ergebnis einer Welle, die wir Schweizer seit Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative gut kennen. Auch der Brexit-Entscheid der Briten war Ausdruck davon. Die Menschen sind wütend. Wütend, weil sie überzeugt sind, Verlierer der Globalisierung zu sein. Und ganz unrecht haben sie nicht: Die Exzesse der Finanzindustrie haben die Welt in die Rezession gestürzt, die nun die normalen Bürger ausbaden müssen. Auch die starke Migration weckt Sorgen. All das spiegelt sich dann in solchen Wahl- und Abstimmungsergebnissen.
Trumps Siegesrede war versöhnlich. Das ist doch beruhigend, oder?
Donald Trump kann sich so versöhnlich geben, wie er will. Die Frage ist, was aus all seinen Plänen wird: mit der Mauer zu Mexiko, mit der Absage an den Freihandel, mit seiner Bewunderung für Russland. Vergessen wir nicht: Er hat gute Chancen, all das umzusetzen, denn auch beide Parlamentskammern sind nun in der Hand der Republikaner.
Das amerikanische System der «Checks and Balances» sieht Kontrollmechanismen vor. Es ist nicht wahrscheinlich, dass Trump viele seiner Ideen 1:1 umsetzen kann.
Davon gehe auch ich nicht aus. Ganz so abschotten wie angekündigt werden sich die USA nicht. Zudem hat Trump bestimmte Positionen bereits gewechselt, beispielweise zum Einsatz von Folter im Kampf gegen Terrorismus. Davon will er jetzt nichts mehr wissen.
Kommen wir zur Aussenpolitik: Wird die Welt mit Trump unsicherer?
Jedenfalls für die nächsten Wochen und Monate. Denn Trump ist ein grosses Rätsel. Wie sich die USA unter seiner Führung entwickeln werden, ist unvorhersehbar. Clinton war immerhin verlässlich. Man kannte sie und wusste um ihre politischen Strategien. Trump hingegen ist ein unbeschriebenes Blatt.
Wo sehen Sie die grössten globalen Risiken?
Präsident Barack Obama hinterlässt Trump verschiedene Krisenherde. Da ist zunächst Syrien und der Kampf gegen den IS. Doch auch die Beziehungen zu Russland und China sind gestört. Oder nehmen wir die angespannte Situation in der Ukraine: Die wird mit Trumps Bewunderung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht stabiler. Wird er die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten? Und was ist mit dem Iran? Will Trump wirklich das Atomabkommen aufkündigen und neu verhandeln?
Im Kampf gegen den IS will Trump amerikanische Bodentruppen einsetzen.
Das hat er gesagt. Aber er hat auch gesagt, dass er Russland mehr Spielraum in Syrien lassen will. Das passt nicht zusammen. Wie gesagt: Es ist völlig unklar, wohin es mit ihm geht. Das Einzige, was mir klar scheint, ist, dass die Obama-Politik der diplomatischen Lösungen wohl vorbei ist. Trump neigt, nachdem was wir bis jetzt wissen, eher zur gewaltsamen Durchsetzung der amerikanischen Interessen.
Birgt diese Aussenpolitik eher Chancen oder Probleme für die Schweiz?
Die Schweiz vertritt die amerikanischen Interessen im Iran. Wenn Trump das Atomabkommen neu verhandeln will, kann das die Rolle der Schweiz stärken. Aber es kann genauso sein, dass es für die Schweizer Aussenpolitik mit ihren Guten Diensten und dem Schwerpunkt auf Menschenrechten und Dialog schwieriger wird.
Welche weiteren Auswirkungen wird die Wahl von Trump auf die Schweiz haben?
Der Schweizer Franken wird noch stärker werden. Das dürfte unsere Wirtschaft nochmals unter Druck setzen, denn auch die USA sind ein wichtiger Exportmarkt.