Micheline Calmy-Rey rügt ihre Partei
«Die SP hat keinen Mut»

Voller Saal gestern im Zentrum für Kulturproduktion «Progr» in Bern: Als Stargast referierte die ehemalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (69, SP) an der Jahresversammlung der Jungsozialisten (Juso). Die alt Bundesrätin sprach zum Themenschwerpunkt «Nie wieder Krieg: für eine sozialistische Friedenspolitik».
Publiziert: 29.03.2015 um 18:10 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2018 um 03:42 Uhr
Schweizer sind als mögliche Uno-Generalsekretäre nicht an der Reihe. Micheline Calmy-Rey.
Foto: Keystone
Interview: Marcel Odermatt

Frau Calmy-Rey, die Welt ist voller Konflikte. Sie befürworten einen EU-Beitritt. Bestünde dann nicht die Gefahr, dass auch die Schweiz in Auseinandersetzungen hineingezogen würde?
Micheline Calmy-Rey: Heute sind wir politisch isoliert, gehören keiner Sicherheitsallianz an. Wir setzen aussenpolitisch auf eine aktive Neutralität, gute Dienste und die Einhaltung des Völkerrechts. Gleichzeitig verkaufen wir Waffen in Länder, die Menschenrechte verletzten, gehen auf Distanz zu den Grossmächten und sind gegenüber den grossen Problemen der Welt sehr zurückhaltend. Ist dieses egoistische Verhalten nachhaltig? Ich glaube nicht. Wir brauchen eine Debatte, wie wir die Sicherheit unserer Bürger künftig garantieren können und solidarisch mit unseren europäischen Nachbarn sind.

Nicht einmal mehr für Ihre Partei ist der EU-Beitritt ein Thema.
Im Moment ist Wahlkampf. Der ist im Herbst wieder vorbei. Aber es ist ein Fehler, dass auch die SP nicht den Mut hat, offen über weitere Integrationsschritte zu reden. Die Schweizer glauben immer noch, dass sie besser seien als die anderen – ein Sonderfall. Dabei hängt unser Wohlstand von der EU ab.

Wegen der Masseneinwanderungs-Initiative ist das Verhältnis mit der EU gestört. Sehen Sie eine Lösung?
Der Bundesrat sagt, Kontingente für EU- und Efta-Bürger würden nur eingeführt, wenn das die EU akzeptiere. Die Europäische Union sagt Nein. Eine Möglichkeit könnte eine flexible Lösung mit einer Schutzklausel sein, weil wir schon eine Art Schutzklausel im Vertrag mit der EU über die Personenfreizügigkeit haben. Das Risiko mit einer Schutzklausel ist ein Referendum. Das ist nur zu gewinnen, wenn die Schweizer Probleme im Inland gelöst werden.

Was meinen Sie damit?
Der Bundesrat hat eineinhalb Jahre Zeit verloren. Es braucht zusätzliche flankierende und begleitende Massnahmen wie Lohnschutz oder Wohnungsbau, um die Probleme der Migration abzufedern. Nur wenn wir diese Hausaufgaben machen, ist eine Abstimmung zu gewinnen.

Unterstützen Sie die Initiative «Raus aus der Sackgasse», die die bilateralen Verträge retten will?
Ja. Sie ist die letzte Option. Sagt die EU Nein zu allen Vorschlägen ist diese Initiative das letzte Instrument.

Sie arbeiten für die Uno. Glauben Sie, dass Ihr Nachfolger – FDP-Bundesrat Didier Burkhalter – Chancen hat, nächster Generalsekretär der Uno zu werden?
Möglich ist alles. Fakt ist, dass ein osteuropäisches Land dran ist. Ein Westeuropäer, ob aus der Schweiz, Deutschland oder Frankreich, hätte nur eine Chance, wenn sich diese Länder nicht einigen können. Ausserdem wünsche ich mir auf dem Uno-Chefposten nun eine Frau (lacht).

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