Meret Schneider (27) und Andri Silberschmidt (25) sitzen ab nächster Woche zusammen im Nationalrat. Die Grüne und der FDPler kennen sich schon fast ihr ganzes Leben. Die beiden gingen in der Gemeinde Grüt im Zürcher Oberland zusammen in den Kindergarten!
BLICK traf die Neo-Parlamentarier zum Streitgespräch – zwar nicht im selben Kindergarten, wo die beiden vor gut zwei Jahrzehnten zusammen spielten, denn der ist derzeit im Umbau. Dafür in einem in der Nachbarschaft.
BLICK: Frau Schneider, war Andri Silberschmidt eigentlich Ihr Kindergartenschatz?
Meret Schneider: Nein. Ich war immer draussen am Indianer- oder Fussballspielen und hatte, so weit ich mich erinnere, keinen Kindergartenschatz. Ich war nicht bei jenen, die Heiraten oder Familie gespielt haben.
Herr Silberschmidt, was ist Ihre Erinnerung an Klein Meret?
Andri Silberschmidt: Wenn ich Fotos anschaue, erinnere ich mich, dass wir zusammen gespielt haben. Auch später in der Primarschule und im Gymnasium hatten wir Kontakt, auch weil ich mit Merets kleineren Schwester in die Klasse ging. Wir waren nie beste Freunde, verloren uns aber auch nie ganz aus den Augen.
Schneider: Stimmt! Wir hatten mal kurz einen ähnlichen Freundeskreis, als man dich noch «Ince» nach dem italienischen Fussballer Filippo Inzaghi nannte.
Silberschmidt: Genau! (lacht)
Wann haben Sie gemerkt, wie unterschiedlich Sie politisch ticken?
Schneider: Ich bin politisch engagiert, seit ich denken kann. Schon mit sieben Jahren habe ich WWF-Marken zugunsten kleiner Schildkröten verkauft. Bei Andri habe ich nicht gemerkt, dass er sich für Politik interessiert, bis er 2013 Präsident der Jungfreisinnigen des Kantons Zürich wurde.
Silberschmidt: In der Schule haben wir auch nicht über Politik gesprochen. Meret hat sich sowieso eher mit älteren Schülern abgegeben – ich war zu wenig cool, als dass sie mit mir hätte herumhängen wollen.
Jetzt gehören Sie zur siebenköpfigen Nationalratsgruppe der Unter-30-Jährigen. Politisieren Junge anders als die Älteren?
Silberschmidt: Unter neuen Parlamentariern werden überparteiliche Allianzen einfacher – unabhängig vom Alter. Langjährige National- und Ständeräte sind schon mehrfach aneinandergeraten. Und daher stärker voreingenommen.
Schneider: Ich spüre bei jüngeren Politikern eine grössere Bereitschaft und Offenheit, über die Parteigrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Und bei gewissen Themen gibt es eine stärkere Einigkeit: Der Digitalisierung gegenüber etwa sind die Jungen von ganz links bis ganz rechts positiver eingestellt als die ältere Generation. Ich erhoffe mir bei gewissen Themen im Parlament eine junge Koalition.
Silberschmidt: Ich erhoffe mir, dass auch innerhalb der einzelnen Fraktionen die Verjüngung eine positive Auswirkung hat. Wir dürfen uns aber nicht überschätzen und meinen, wir Jungen müssen den Laden nun aufräumen. Nicht unterschätzen sollte man auch den Fakt, dass durch Abwahlen viel Fachwissen verloren geht. Allerdings kann man abgewählte oder zurückgetretene Parlamentarier ja kontaktieren und ihre Einschätzung einholen.
Was ist das grösste Problem, das die Schweiz lösen muss – und wo setzen Sie Akzente?
Schneider: Ganz klar der Klimawandel. Ich möchte vor allem das Essverhalten thematisieren. Der enorme Konsum von Tierprodukten ist ein Problem, vor allem jener aus Massentierhaltung. Die Schweizer geben zwar an, Bioprodukte zu kaufen – aber Biobauern bleiben auf ihren Produkten sitzen.
Mehr Bio und Vegan auch im Bundeshaus-Restaurant?
Schneider: Hier werde ich sicherlich das Gespräch mit der Restaurantleitung suchen.
Wo werden Sie ansetzen?
Silberschmidt: Das grösste Problem ist, dass unsere Sozialwerke für die Zukunft nicht finanziert sind. Nicht nur die AHV, auch die Pensionskassen und Ergänzungsleistungen. Das Gute daran: Wir können diese Probleme in der Schweiz und völlig unabhängig vom Ausland lösen – anders als etwa den Klimawandel oder das Rahmenabkommen. Auch mein erster Vorstoss ist bereits angedacht, geht aber in eine andere Richtung: Ich verlange, dass Investitionen in Start-ups vereinfacht werden.
Ihr erstes wichtiges Geschäft ist die Wahl der Bundesräte am siebten Sessionstag Ihres Nationalrats-Daseins. Herr Silberschmidt, gemäss Wählerstärke haben die Grünen Anrecht auf einen Sitz – und das auf Kosten der FDP. Anerkennen Sie diesen Anspruch?
Silberschmidt: Es ist logisch, dass die Wahlsieger Ansprüche haben. Aber die Schweiz ist mit ihrer Stabilität in der Regierung gut gefahren.
Schneider: Der Bundesrat oder gar das Land werden doch nicht destabilisiert, wenn Regula Rytz anstelle von Ignazio Cassis in der Regierung sitzt. Nach diesen Wahlen ist ganz klar: Es braucht eine ökologische Stimme im Bundesrat.
Silberschmidt: Diskutieren muss man das sicher, aber nicht so kurz vor den Wahlen mit einer Einer-Kandidatur aus dem Kanton Bern. Mich stört auch, dass die Grünliberalen zum Teil zu den Grünen addiert werden, um den Bundesratssitz zu rechtfertigen. Wir könnten die GLP ja auch zu uns zählen, legt sie doch ebenso viel Wert auf die liberale Gesinnung wie auch auf grüne Anliegen!
Mit oder ohne grünen Bundesrat – der Klimaschutz wird ein zentrales Dossier sein. Was sind die wichtigsten Forderungen für diese Legislatur?
Schneider: Wie bereits erwähnt verursacht die Fleischproduktion viel CO2. Ich fordere eine nachhaltigere, biologischere und pflanzlichere Landwirtschaft. Dann muss der Ausstieg aus der fossilen Energie so weitgehend wie möglich umgesetzt werden. Dazu braucht es eine stärkere Förderung der erneuerbaren Energien, aber auch eine bessere internationale Zusammenarbeit. Das Potenzial für Solarenergie ist in der Schweiz riesig, wird aber wegen Witzvereinen wie dem Denkmalschutz nicht ausgeschöpft.
Witzverein Denkmalschutz? Da machen Sie sich keine Freunde!
Schneider: Sie machen schon einen guten Job. Aber manchmal muss man doch auch sagen: Diese Art eines Hauses gibt es 150 Mal in der Schweiz. Braucht es das 151. wirklich auch noch gänzlich im Original? Oder sollte man nicht vielleicht das Dach anständig sanieren?
Silberschmidt: Das Zentralste ging vergessen: Forschung und Entwicklung. Wenn wir Lösungen entwickeln, die auch bei grossen Industrienationen dazu führen, dass weniger CO2 ausgestossen wird, ist dem Klima am meisten geholfen. Alles was wir in der Schweiz unternehmen, ist im Vergleich dazu leider vernachlässigbar. Das entbindet uns aber nicht vor eigenen Massnahmen.
Schneider: Forschung ja! Aber das reicht nicht. Autofahren und Fliegen etwa sollten in einem Umfang teurer werden, damit es auch einen positiven Effekt auf das Klima hat.
Silberschmidt: Es kann nicht sein, dass man eine Umverteilungspolitik zu Lasten jener macht, die aufs Auto angewiesen sind. Wenn das Parlament eine zu hohe CO2-Abgabe beschliesst, droht die Vorlage vom Volk abgelehnt zu werden. Weil sich die Bürger drangsaliert fühlen.
Schneider: Man muss doch nicht Schiss haben. Ein Referendum hat keine Chance. Die Zeiten haben sich geändert. Das haben auch die Wahlen gezeigt. Die Schweiz muss mehr machen und als Pionierland im Umweltschutz international eine Vorreiterrolle spielen.
Silberschmidt: Pionier bei Innovation ja! Aber wir müssen nicht Abgabe-Weltmeister werden.
Schneider: Mehr Forschung und Innovation für den Klimaschutz – da werde ich dir nie widersprechen. Garantiert. Aber es reicht nicht. Die Schweiz muss ein Zeichen setzen. Etwa klarmachen, dass Fliegen eigentlich nicht mehr geht.
Silberschmidt: In etwa 15 Jahren gibt es solarbetriebene Flugzeuge, und das CO2-neutrale Fliegen ist Realität. Deshalb sollte man nicht das Fliegen verteufeln, sondern allenfalls das Kerosin. Fliegen ist eine grosse Errungenschaft der Menschheit.
Schneider: Das ist ja genau das, was wir anstreben. Das Kerosin verteuern, damit Solarenergie – auch im Flugverkehr – schneller der Durchbruch gelingt.
Ein weiteres zentrales Thema der nächsten Legislatur ist die Altersvorsorge. Braucht es eine Erhöhung des Rentenalters?
Schneider: Ja, auf 66 Jahre. Mit Ausnahme bei körperlichen Arbeiten.
Silberschmidt: Absolut gleicher Meinung.
Soll die Schweiz das Rahmenabkommen mit der EU in dieser Form unterzeichnen?
Schneider: Nicht, solange der Lohnschutz nicht gewährleistet ist. Wenn das geregelt ist, ja.
Silberschmidt: Es braucht noch Abklärungen, etwa hinsichtlich der Rolle des Gerichtshofs und einer allfälligen Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie. Dann müssen wir unterschreiben. Denn der beste Lohnschutz ist es, einen Job zu haben. Ohne Rahmenabkommen gibts immer weniger Jobs in der Schweiz.
Anfang Dezember geht es für alle Neuen und für die Wiedergewählten los im Bundeshaus. Fühlen Sie sich bereit?
Silberschmidt: Ich glaube schon. Eine Wohnung im Berner Marziliquartier habe ich gefunden. Es wird eine WG mit anderen Nationalrats-Gschpändli aus verschiedenen Parteien.
Das wäre doch was! Zusammen im Kindergarten und 20 Jahre später in einer Parlamentarier-WG in Bern.
Schneider: Ich suche tatsächlich auch noch eine Wohnung oder eine WG.
Silberschmidt: Sie ist schon voll. Sorry. SVP-Nationalrat Mike Egger und die Grüne Franziska Ryser werden bei mir einziehen. Zwei Grüne wären dann doch eine etwas starke Übervertretung.
Schneider: Nichts gegen die SVP, aber mit dem Fleisch-Lobbyisten Egger, der täglich Tiere braten und Veganer-Sprüche reissen wird, müsste ich dann doch nicht zusammenwohnen.
Meret Schneider (27, Grüne) studierte Sprach- und Umweltwissenschaften und wohnt in Uster ZH. Sie ist Co-Geschäftsleiterin von Sentience Politics und vertritt insbesondere die Massentierhaltungs-Initiative. Über Schneider gibt es bereits eine SRF-Doku mit dem Titel «Meret Schneider rettet die Welt».
Meret Schneider (27, Grüne) studierte Sprach- und Umweltwissenschaften und wohnt in Uster ZH. Sie ist Co-Geschäftsleiterin von Sentience Politics und vertritt insbesondere die Massentierhaltungs-Initiative. Über Schneider gibt es bereits eine SRF-Doku mit dem Titel «Meret Schneider rettet die Welt».
Andri Silberschmidt (25, FDP) ist noch bis Ende November Präsident der Jungfreisinnigen. Er wuchs in Grüt im Zürcher Oberland auf und machte eine Banklehre mit Berufsmatura. 2018 gründete er die Gastrofirma Kaisin. Der Stadtzürcher ist der jüngste Nationalrat der kommenden Legislatur.
Andri Silberschmidt (25, FDP) ist noch bis Ende November Präsident der Jungfreisinnigen. Er wuchs in Grüt im Zürcher Oberland auf und machte eine Banklehre mit Berufsmatura. 2018 gründete er die Gastrofirma Kaisin. Der Stadtzürcher ist der jüngste Nationalrat der kommenden Legislatur.