Während heute Morgen die Kontaktgruppe Mittelmeer mit Vertretern von 13 europäischen und afrikanischen Staaten im noblen Berner Hotel Bellevue tagte, luden wenige Hundert Meter entfernt humanitäre Organisationen zur Medienkonferenz, um ein kritisches Gegengewicht zu den offiziellen Verlautbarungen zu präsentieren.
Hunderttausende Flüchtlinge interniert
Einen Fokus legten die Menschenrechtler dabei auf die Situation in Libyen, wo derzeit Hunderttausende Flüchtlinge in über 50 Internierungslagern festgesetzt sind. Und dies unter menschenunwürdigen Umständen, wie eine letzten Freitag im SRF-Nachrichtenmagazin «10 vor 10» ausgestrahlte Reportage belegt.
Wie in Gefängnissen werden Dutzende Flüchtlinge in engen Räumen zusammengepfercht, die Fenster sind vergittert und nur eine einzige (verstopfte) Toilette steht den Eingesperrten zur Verfügung. In der Reportage erzählen die Flüchtlinge von Misshandlung, Diebstahl und Ausbeutung.
«Folter und sexuelle Gewalt»
Auch Flüchtlingshelfer dokumentieren die Missstände. Umso deutlicher verurteilt Caroline Abu Sada, Direktorin von SOS Méditerranée Schweiz, heute in Bern die Zusammenarbeit der europäischen Staaten mit der libyschen Küstenwache, welche Bootsflüchtlinge einsammelt und zurück nach Libyen bringt.
«Menschen an Orte zurückzubringen, wo sie unmenschlicher Behandlung, Folter und sexueller Gewalt ausgesetzt sind, ist eine Verletzung der Menschenrechte», so Abu Sada. «Diese Menschenrechtsverletzungen müssen gestoppt werden.»
Unverständnis über die europäische Abschottungspolitik äusserte auch der eritreische Pater Mussie Zerai, der 2015 für seine Menschenrechtsarbeit für den Friedensnobelpreis nominiert war. «Wie kann das demokratische Europa diese systematischen Menschenrechtsverletzungen tolerieren und mit solchen Ländern kooperieren?», fragte er.
Prävention, Schutz und legaler Zugang
Um der Flüchtlingsproblematik Herr zu werden, brauche es einen Politikwechsel, so Zerai. Dafür benannte er drei Stossrichtungen:
- «Es braucht Prävention», so Zerai. In den betroffenen Ländern müssten langfristig die Fluchtursachen beseitigt werden. Dazu zählte er etwa ethische Standards für internationale Firmen: «Die Ressourcen eines Landes müssen der ganzen Bevölkerung zugutekommen – und nicht nur der Elite.»
- Zersai forderte Schutz für die Flüchtlinge vor gewalttätigen Übergriffen und Menschenhandel. «Wir müssen nicht die Grenzen schützen, sondern die Menschen.»
- Und schliesslich plädierte er für legale Zugänge von Flüchtlingen nach Europa. Als Beispiele nannte er Resettlement-Programme, humanitäre Visa, humanitäre Korridore oder auch Studien- und Ausbildungsplätze.
Der katholische Priester appellierte an die EU, ihre interne Solidaritätskrise in der Migrationsthematik – also die Weigerung einiger Staaten, Flüchtlinge aufzunehmen – endlich zu lösen. Er betont: «Wir brauchen eine radikale Reform, wie Europa mit Menschen umgeht, welche hier Schutz suchen wollen.»