Polizei soll Securitas ablösen
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Gewalt in Asylzentren
Polizei soll Securitas ablösen

Im Mai erhob Amnesty International schwere Vorwürfe gegen private Sicherheitsleute in Asylzentren. Der Bund liess das abklären: Systematische Menschenrechtsverletzungen gibt es nicht, so alt Bundesrichter Niklaus Oberholzer. Aber rechtswidrige Einzelfälle.
Publiziert: 18.10.2021 um 09:11 Uhr
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Aktualisiert: 18.10.2021 um 18:09 Uhr
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Im Mai erhob Amnesty International schwere Vorwürfe gegen Sicherheitspersonal in Asylzentren.
Foto: Keystone
Sermîn Faki

Es sind gravierende Vorwürfe, die im Raum standen: Sicherheitsleute in Asylzentren sollen Asylbewerber systematisch schlagen, einsperren und beleidigen. In einem knapp 30-seitigen Bericht dokumentierte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International im Mai 14 Fälle von Misshandlungen von Asylsuchenden.

Die Vorfälle sollen sich zwischen Januar 2020 und April 2021 in den Asylzentren Basel, Giffers FR, Boudry NE, Altstätten SG und Vallorbe VD ereignet haben.

Keine systematischen Misshandlungen

Asylsuchende berichteten etwa, dass sie zur Bestrafung in Metallcontainer gesperrt wurden und ihnen medizinische Hilfe verweigert wurde. Sechs der 14 betroffenen Asylsuchenden mussten im Spital behandelt werden. Amnesty sprach daraufhin von «schwerem Missbrauch, der in einzelnen Fällen den Tatbestand der Folter oder anderer Misshandlungen erfüllen könnte».

Das verneint alt Bundesrichter Niklaus Oberholzer (67), den das Staatssekretariat für Migration (SEM) mit einer externen Untersuchung beauftragt hatte. Allerdings hätten Mitarbeitende der privaten Sicherheitsfirmen in mehreren Fällen unverhältnismässigen Zwang angewendet. «Diese Ereignisse sind durch nichts zu rechtfertigen», so Oberholzer. Doch es seien Einzelfälle. Ein Muster lasse sich nicht erkennen. «Der Vorwurf, in Bundesasylzentren werde gefoltert, ist falsch.»

Drei Fälle von rechtswidrigem Verhalten

Konkret untersuchte Oberholzer sieben Vorfälle in Bundesasylzentren. In drei Fällen – also knapp der Hälfte – hätten Mitarbeitende der Sicherheitsfirmen «unverhältnismässig und rechtswidrig auf eine Konfliktsituation reagiert». In drei weiteren Fällen seien die Zwangsmassnahmen gerechtfertigt gewesen, weil die betroffenen Asylsuchenden in hohem Masse unter Alkohol und dem Einfluss anderer Drogen gestanden hätten. In einem Fall bestehe «Zweifel, ob die Reaktion auf eine Konfliktsituation adäquat war».

In sechs dieser sieben Fälle laufen zudem noch Strafanzeigen. Die Mitarbeiter, die an den vier heiklen oder rechtswidrigen Vorfällen beteiligt waren, werden zudem nicht mehr in Asylzentren eingesetzt.

Dem Urteil Oberholzers schloss sich auch SEM-Direktor Mario Gattiker (64) an: Zwar sei die Arbeit in Bundesasylzentren – mit so vielen unterschiedlichen Kulturen und zum Teil traumatischen Erfahren der Asylsuchen – sehr konfliktbeladen. Dennoch: «Diese drei Fälle sind drei Fälle zuviel.»

Mehr Staat beim Staat

Oberholzer sprach denn auch verschiedene Empfehlungen aus. Eine davon hat es in sich: Der alt Bundesrichter spricht sich dezidiert dafür aus, dass künftig weniger privates Sicherheitspersonal in Asylszentren zum Einsatz kommen soll. «Sicherheit und Ordnung sind primär Aufgabe staatlicher Organe», sagte er.

Zumindest die Schlüsselpositionen – so die des Sicherheitschefs sowie der Logenmitarbeiter – sollten mit staatlichen Polizeikräften besetzt werden. Denn nur diese seien dafür ausgebildet und hätten auch das Recht, in die Grundrechte anderer einzugreifen und polizeilichen Zwang durchzusetzen. Als Beispiel für eine solche Lösung nannte er die der Zürcher Ausnüchterungszellen, in der Polizei und private Sicherheitsdienste gemeinsam arbeiten würden – unter der Verantwortung der Polizei.

Kostenfolgen dürften zu reden geben

Oberholzer sticht damit in ein Wespennest. Denn aus Kostengründen hatte die Politik entschieden, dass mit der Sicherheit private Unternehmen betraut werden. Auch seine zweite Empfehlung dürfte für Gesprächsstoff sorgen: Oberholzer ist der Ansicht, dass die privaten Sicherheitsdienste besser ausgebildet werden müssen. Und auch das wird Kostenfolgen haben.

Das SEM wird die Empfehlungen Oberholzers nun prüfen, wie Gattiker sagte. Für bestimmte braucht es aber einer Gesetzesänderung. Damit werden Jahre vergehen, bis es Änderungen gibt.

Das SEM setze jedoch bereits Konfliktpräventionsprojekte in den Zentren um, wie Gattiker sagte. So würden etwa muslimische Seelsorger eingesetzt und die Präsenz des Sicherheitspersonal reduziert. Zudem werde eine unabhängige Meldestelle für Asylsuchende geschaffen. Auch ein besonderes Asylzentrum im Jura habe seinen Betrieb wieder aufgenommen. Darin werden Asylsuchende untergebracht, die den Betrieb in anderen Zentren massiv gestört hätten. In der Folge hätten die Konfliktsituationen um 40 Prozent abgenommen.

MK Gattiker 18.10.2021
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