Für über 30 National- und Ständeräte wurde der 20. Oktober zum Albtraum. Sie wurden abgewählt – und sind damit nur noch bis Ende dieser Woche im Amt. Viele müssen sich nach der Abwahl neu organisieren. Das Mandat war nicht nur ein wichtiger Lebensinhalt, sondern auch für den finanziellen Lebensunterhalt bedeutend. Immerhin beläuft sich das Einkommen inklusive Spesen auf gut 120'000 Franken.
Doch bei einer Abwahl stehen manche plötzlich vor dem Nichts. Etwa, weil sie einst ihren Job zugunsten der Politik aufgegeben oder reduziert haben. Und weil der Wiedereinstieg oder eine Aufstockung des Pensums vom einen Tag auf den andern nicht möglich ist.
Maximal 2370 Franken pro Monat
Dann droht auch ein finanzieller Engpass. Für diesen Fall können Abgewählte eine Überbrückungshilfe beantragen: maximal in der Höhe einer AHV-Rente – aktuell also bis zu 2370 Franken pro Monat. Und dies während höchstens zwei Jahren.
Davon machen nun einige Ex-Parlamentarier Gebrauch, wie die Parlamentsdienste bestätigen. «Bisher sind vier Gesuche um Überbrückungshilfe eingegangen», sagt Sprecher Mark Stucki gegenüber BLICK. «Zwei davon sind der dafür zuständigen Verwaltungsdelegation vorgelegt und bewilligt worden – die zwei anderen Gesuche sind noch pendent.» Dabei handle es sich um Abgewählte, so Stucki. Grundsätzlich können nämlich auch freiwillig Abtretende die Hilfe geltend machen.
Um wen es sich handelt, ist vertraulich. Einzig die Parlamentsdienste kennen die Namen und überprüfen die Anspruchsberechtigung. Die für die Bewilligung zuständige Verwaltungsdelegation erhält nur anonymisierte Gesuche, wie deren Präsident Jean-René Fournier (61) erklärt.
SP-Naef ist auf Jobsuche
Weitere Gesuche könnten aber noch hinzukommen. So schliesst zum Beispiel SP-Nationalrat Martin Naef (49, ZH) derzeit nicht aus, dass er die Hilfe später in Anspruch nimmt. «Das hängt davon ab, wie sich meine berufliche Situation entwickelt», sagt er zu BLICK. Aktuell ist er nur in einem 20-Prozent-Pensum bei der Kesb beschäftigt. «Da ich das Pensum nicht so einfach erhöhen kann, bin ich derzeit auf Jobsuche.»
Seine berufliche Zukunft ist also noch offen. «Wenn es nötig wird, habe ich keine Hemmungen, die Hilfe zu beantragen – und werde mich auch nicht dafür schämen», macht Naef klar. «Eine Abwahl ist wie eine fristlose Entlassung – ohne dass man etwas angestellt hat.»
Die meisten finden eine Lösung
Nicht alle reagieren so gelassen auf die BLICK-Anfrage. Potenzielle Gesuchsteller wollen nichts zum Thema sagen oder lassen die Anfrage unbeantwortet. Seine finanziellen Verhältnisse gingen die Öffentlichkeit nichts an, winkt ein Nationalrat unwirsch ab.
Allzu viele werden die Hilfe nicht beziehen. Wer das Rentenalter nämlich bereits erreicht hat, ist vom Zustupf ausgeschlossen. Die meisten Abgewählten finden zudem anderweitig eine Lösung und verzichten auf die Hilfe.
So zum Beispiel der abtretende CVP-Nationalrat Thomas Egger (52, VS). Als Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete könne er sein Pensum wieder aufstocken, erklärt er.
«Ich bin Milizpolitiker», sagt derweil Noch-SP-Nationalrat Thomas Hardegger (63, ZH). «So werde ich mich wieder intensiver meinem Betrieb widmen. Auch Sozialdemokraten sind Unternehmer und schaffen Arbeitsplätze.» Hardegger ist im Immobilienbereich tätig.
Bisher knapp eine Million Franken
Die Zahl der Unterstützen dürften im einstelligen Bereich bleiben. So wie das auch früher der Fall war, erklärt Parlamentsdienst-Sprecher Stucki. «Der Durchschnittswert für die Zahl der Überbrückungshilfen liegt bei fünf Personen.»
Seit der Einführung der Hilfsmöglichkeit 2003 haben bis 2018 22 Personen den Notgroschen beansprucht. Insgesamt beläuft sich die Hilfe bis 2018 auf 923'000 Franken. Dabei variieren die jährlichen Kosten relativ stark. 2004 wurden 174'000 Franken ausbezahlt, 2016 nur 94'000 Franken.
SVP-Rickli forderte Abschaffung
Den Notbatzen gibt es möglicherweise zum letzten Mal. Denn die Abschaffung der Überbrückungshilfe ist aufgegleist. So hat 2016 die frühere SVP-Nationalrätin und heutige Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli (43) einen Vorstoss eingereicht, der die Streichung der Hilfe verlangte.
Ihr Hauptargument: Da Parlamentarier bereits Beiträge an die Arbeitslosenversicherung bezahlten, könnten sie im Notfall diese beanspruchen. «Dazu sind die Sozialwerke ja auch da, wenn man im Moment nicht für sich schauen kann», so Rickli in der damaligen Debatte.
Ein Kompromiss liegt vor
Mittlerweile liegt ein Gesetzesentwurf vor, der die Streichung der Überbrückungshilfe vorsieht. Eine links-grüne Minderheit will davon aber nichts wissen.
Als Kompromiss liegt zudem ein Vorschlag auf dem Tisch, der den Anspruch auf sechs Monate begrenzen will – dieser wird etwa auch von CVP-Chef Gerhard Pfister (57) und EVP-Präsidentin Marianne Streiff (62) unterstützt.
Gut möglich, dass die Kompromissvariante im neuen Parlament die besseren Chancen hat – und die Rente doch nicht gänzlich gestrichen wird.