Masseneinwanderungs-Initiative soll sanft umgesetzt werden
Weniger Volkswille geht nicht

Zwischen dem Verfassungsartikel und dem Gesetzesvorschlag klafft eine zu grosse Lücke, bilanziert BLICK-Bundeshausredaktor Nico Menzato. Der Kern der Initiative, die eigenständige Steuerung der Zuwanderung, werde ignoriert. Deshalb brauche es eine neue Abstimmung.
Publiziert: 02.09.2016 um 23:52 Uhr
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Aktualisiert: 29.10.2018 um 21:42 Uhr
Ein Mitarbeiter der APG klebt am Mittwoch, 24. August 2011 ein Plakat zur Einwanderungsinitiative der SVP auf eine Werbetafel in St. Moritz. (KEYSTONE/Arno Balzarini)
Foto: ARNO BALZARINI
Nico Menzato

Dank des Inländervorrangs light werden jährlich 5000 bis 10'000 Personen weniger in die Schweiz einwandern. Das sagt FDP-Nationalrat Kurt Fluri, Architekt des von der zuständigen Kommis­sion vorgelegten Gesetzes.

Sofern diese Prognose eintreffen sollte – reicht das? Sind die 50,3 Prozent der Schweizer, die 2014 der SVP-Initiative zustimmten, damit zufrieden? Womöglich schon. Denn die Migration ist aus wirtschaftlichen Gründen und ohne politische Massnahmen ohnehin stark rückläufig. Die Schweiz steuert dieses Jahr auf eine Zuwanderung von unter 60'000 Personen zu – nicht mehr von rund 80'000 wie in den letzten Jahren.

Zwischen Verfassungsartikel und Gesetzesvorschlag klafft eine grosse Lücke

Dennoch können Zuwanderungsskeptiker alles andere als zufrieden sein: Zwischen dem Verfassungsartikel und dem Gesetzesvorschlag klafft eine grosse Lücke – eine zu grosse. Die Parlamentarier haben eine der sanftesten Varianten gewählt.

Sie gewichten das Personenfreizügigkeitsabkommen und den Fortbestand der bilateralen Verträge viel höher als die Verfassung. Der Kern der Initiative, die eigenständige Steuerung der Zuwanderung, wird ignoriert. Denn noch immer steuert die Wirtschaft und nicht die Politik die Zuwanderung. Weniger Volkswille geht fast nicht.

Die vorgeschlagenen Massnahmen sind politisch unbestritten. Weitergehende Abhilfemassnahmen darf der Bundesrat nur dann ergreifen, wenn er schwerwiegende wirtschaftliche oder soziale Probleme im Land geltend macht. Und das auch nur, wenn die EU zustimmt.

Dieser Paragraf ist ein Blendwerk. Er gibt der Schweiz keinen neuen Hebel in die Hand – genau dies darf der Bundesrat nämlich schon heute. Die bilateralen Verträge lassen dies explizit zu. Die Passage im Gesetz wurde fast eins zu eins aus dem Personenfreizügigkeitsabkommen kopiert.

Zudem lautet das Signal der Politiker nach Brüssel: Wir sind zufrieden mit dem nicht erreichten Deal – und müssen nicht mehr weiter verhandeln. Denn die EU wird am Gesetz nichts auszusetzen haben.

Damit das klar ist: Wie bei Volksinitiativen üblich kann und soll auch diese nicht eins zu eins umgesetzt werden. Und die SVP ist mitschuldig an der jetzigen Lösung. Sie hat ihre roten Linien nicht klar artikuliert – und hat laut Quellen Kompromissvorschläge konsequent abgeschmettert.

Nationalratskommission hätte Spielraum besser nutzen müssen

Trotzdem hätte die Nationalratskommission ihren Spielraum besser nutzen müssen – und zumindest einen schärferen Inländervorrang oder Höchstzahlen als letztes Mittel ins Gesetz schreiben sollen für den Fall, dass der Inländervorrang zu wenig Effekt zeigt.

Eine Idee, die weit vom SVP-Wunschkatalog entfernt ist. Ein Modell, das notabene der Arbeitgeberverband entworfen hat – ein Verband, dem die Rekrutierung von ausländischen Arbeitskräften, die bilateralen Verträge und ein gutes Verhältnis mit der EU heilig sind.

Die EU dürfte sich freuen

Aussenpolitisch haben die Politiker gestern keinen Flurschaden mit Europa angerichtet. Die EU dürfte sich über das Gesetz freuen. Innenpolitisch jedoch ist die Schweiz damit keinen Schritt weiter gekommen. Denn das Gesetz verletzt die Verfassung in derart krasser Weise, dass es zwingend eine neue Zuwanderungs-Abstimmung geben muss.

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