Das Schweigen von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative vor ihrer Reise nach Brüssel ärgert nicht nur die Initianten von der SVP. Auch Verbündete schütteln die Köpfe.
«Die Ankündigungs- und Verschiebepolitik ist unschön», sagt etwa BDP-Nationalrat Hans Grunder (BE): «Der Bundesrat hätte vor der Brüssel-Reise vom Montag besser die Bevölkerung informiert.»
Das Schweigen gebe nun der SVP wieder Argumente, um gegen den Bundesrat zu schiessen. Die aussenpolitische Wirkung sei ebenso problematisch. «Eine Brüssel-Reise ohne kommunizierte Umsetzung der Initiative ist keine Position der Stärke», so Grunder.
Auch in der FDP regt sich Widerstand. «Der Bundesrat muss endlich einen Entscheid fällen – egal, wie die Reaktionen ausfallen», sagt FDP-Aussenpolitiker Walter Müller (SG). Das Geschäft ständig vor sich hindümpeln zu lassen, sei schlecht.
Mit dem Hinausschieben der Vorlage setzt der Bundesrat unter der Führung von Sommaruga innenpolitisch das Vertrauen in eine konsequente Umsetzung des Volksentscheids aufs Spiel.
Und aussenpolitisch ist die Umsetzung der Vorlage schlicht ein Debakel: Die EU sagte zu Verhandlungs-Anfragen bisher strikt Nein.
Brüssel-Besuch
Nun setzt Sommaruga alles auf den Brüssel-Besuch. In der Bundesverwaltung erklärt man, dass Sommaruga darum keine möglichen Stolpersteine liegen lassen wollte. Die Präsentation einer Umsetzungsvorlage kurz vor dem Besuch erachteten ihre Experten als Affront gegenüber den neuen EU-Chefs Jean-Claude Juncker und Donald Tusk.
Denn der Bundesrat sieht sich in einer diplomatischen Bredouille. Es sei unüblich, dass ein Staat ohne Gesprächsbereitschaft des Gegenübers einseitig ein Verhandlungsmandat verabschiede, heisst es in der Verwaltung. Üblich sei, dass sich die Delegationen der Vertragspartner zuerst zu Erkundungsgesprächen träfen – und erst danach bei ihren Regierungen ein offizielles Verhandlungsmandat abholten.
Sommarugas ganze Hoffnung liegt nun auf dem Schweiz-Freund Juncker. Ihm will sie die Bereitschaft zu ernsthaften Gesprächen über die Anpassung der Personenfreizügigkeit abringen. Unterstützt wird die Bundespräsidentin von den Schweizer Europafreunden.
«Es ist richtig, bei der EU nochmals auszuloten, ob und wie viel Spielraum es gibt», sagt etwa FDP-Nationalrätin Christa Markwalder.
Aber die vorsichtige Sommaruga-Diplomatie ist auch Ausdruck von Hilflosigkeit in Bundesbern: Niemand hat ein Rezept vorgelegt, wie man den Volksentscheid und die bilateralen Verträge miteinander vereinbaren könnte.
Sicher ist eines: Die Bevölkerung muss warten. BDP-Chef Martin Landolt, der Sommaruga unterstützt, rechnet damit, «dass der Bundesrat die Parteipräsidenten an den Von-Wattenwyl-Gesprächen informiert und mit einbezieht, bevor er über die Umsetzung der Initiative informiert». Die Regierung habe dies versprochen. Das nächste Treffen ist auf Mitte Februar angesetzt.