BLICK: Herr Landolt, seit einem Jahr ist die BDP nicht mehr Bundesratspartei und hat alle kantonalen Wahlen verloren. Sie werden froh sein, dass das Schreckensjahr 2016 vorbei ist.
Martin Landolt: Es war ein sehr schmerzhaftes Jahr für uns. Ich wusste, dass wir Wechselwähler verlieren würden, die bisher aus Solidarität zu Eveline Widmer-Schlumpf BDP gewählt haben. Mit Verlusten habe ich deshalb gerechnet, aber zugegebenermassen nicht in diesem Ausmass.
Wie oft haben Sie letztes Jahr an Rücktritt gedacht?
Nie.
Das nehme ich Ihnen nicht ab.
Doch. Natürlich bin ich als Parteipräsident nicht immer auf rosaroten Wolken geschwebt. Für mich ist aber klar: Es braucht uns! Wir werden kämpfen – und ich habe genügend Energie dafür.
Dann werden Sie die BDP 2019 in die nationalen Wahlen führen?
Das ist mein Ziel. Die Partei in einer schwierigen Phase wie jetzt im Stich zu lassen, entspricht weder meinem Teamgeist noch meinem Ehrgeiz. Ich habe aber vor, nach den Wahlen 2019 als Parteichef zurückzutreten. Dann will ich die Partei mindestens ebenso stark weitergeben, wie ich sie 2012 übernommen habe.
«Nicht noch mehr verlieren» wäre als Wahlziel doch ambitiös genug.
Im Gegenteil! Das Ziel ist für mich naheliegend: Wir müssen die jetzigen Sitze verteidigen und die beiden 2015 verlorenen Nationalratssitze zurückholen. Beim Wähleranteil müssen wir die Fünf-Prozent-Hürde wieder überspringen.
Derzeit laufen der BDP die Wähler in Scharen davon. Wie wollen Sie die Trendwende schaffen?
Wir müssen uns eine nachhaltige Stammwählerschaft aufbauen. Mit Leuten, die am Arbeitsplatz und am Stammtisch für die BDP hin- und einstehen. Unser Erfolg darf nicht allein von Wechselwählern und damit vom Zufall abhängig sein. Wechselwähler sind aber natürlich weiterhin willkommen.
Eveline Widmer-Schlumpf als Identifikationsfigur könnte doch wieder eine wichtigere Rolle übernehmen. Zum Beispiel als Vizepräsidentin.
Sie unterstützt uns auch ohne institutionelle Funktion. Sie nimmt an Delegiertenversammlungen und Fraktionsausflügen teil, und ich treffe sie etwa halbjährlich zum Gedankenaustausch. Sie verfolgt das politische Geschehen nach wie vor intensiv und ist für mich eine wichtige Sparringspartnerin. Ihre Meinung hat für mich persönlich grosses Gewicht. Daher bin ich froh, dass sie meine Einschätzung bezüglich der Herausforderungen und Chancen der BDP teilt.
Das Hauptproblem der BDP ist doch: Ihr fehlt eine eigene Identität.
Ganz und gar nicht! 1971 schlossen sich die bürgerlich-progressiven Parteien BGB und Demokraten zur SVP als gemässigte Zentrumspartei zusammen. Dieses Erbe einer vernunfts- und lösungsorientierten Politik treten wir an. Der bürgerliche Fortschritt ist unsere politische DNA.
Das tönt mehr nach einer leeren Floskel. Wo konkret unterscheidet sich die BDP denn von andern Bürgerlichen?
Wie wollen einen verantwortungsvollen Wirtschaftsstandort. Ein konkretes Beispiel: Wir haben schon früh eine Umgestaltung des Finanzplatzes gefordert und kämpfen jetzt als einzige bürgerliche Partei vehement gegen die Verankerung der Steuerhinterziehung in der Verfassung. Auch in ökologischen Fragen sind wir progressiver als SVP, FDP und CVP.
Trotzdem: In der Mitte tummelt sich zu viel Konkurrenz.
Ich habe eher den Eindruck, dass sich das Feld für uns öffnet.
Wie das denn?
Die CVP hat sich für eine konservative Strategie entschieden. Und in der SP bezieht der marktwirtschaftliche Flügel Prügel. Diese verstärkte Polarisierung schafft in der progressiven Mitte zunehmend ein Vakuum. Da liegt viel Potenzial für uns brach, das wir abholen wollen.
Die CVP war bisher Ihre wichtigste Bündnispartnerin. Jetzt tönt es nach Entfremdung.
Auf Kommissionsebene arbeiten wir weiterhin eng zusammen. In ihrer strategischen Ausrichtung ist die CVP aber auf einen konservativen Weg eingebogen, den wir nicht mit ihr gehen werden. Die thematischen Überscheidungen sind weniger geworden.
Wo driften Sie denn auseinander?
Wir hatten beispielsweise eine unterschiedliche Auffassung über die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative und stufen auch die Notwendigkeit eines Rasa-Gegenvorschlags unterschiedlich ein. Auch in Bezug auf die Zukunft des Bankgeheimnisses oder zum Burkaverbot empfinde ich die CVP gegenüber früheren Legislaturen als konservativer.
Nicht nur die CVP hat einen neuen Chef, auch FDP und SVP. Wie wirkt sich das aus?
Im Moment sind alle Parteien mit sich selbst beschäftigt. Was mir Sorgen macht: FDP und CVP ziehen in strategisch wichtigen Dossiers nicht mehr am gleichen Strick. Statt Lösungsfindung steht die parteipolitische Profilierung im Vordergrund – wie zuletzt bei der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative.
Sind Sie mit der jetzigen Umsetzung der Initiative zufrieden?
Im Moment geht es nicht anders. Es ist ein erster Schritt, aber nicht das Ende des Prozesses.
Das heisst?
Der Bundesrat muss mit der EU in Sachen Personenfreizügigkeit weiterverhandeln, da ist EU-intern viel im Fluss. Er muss endlich auch ein Gesetz zur Förderung der inländischen Arbeitskräfte vorlegen, wie das ein vom Parlament überwiesener BDP-Vorstoss verlangt. Und schliesslich braucht es eine klärende Volksabstimmung über den bilateralen Weg. Ich staune, dass sich ausgerechnet die SVP derart davor fürchtet.
Was halten Sie von den Rasa-Gegenvorschlägen des Bundesrat?
Nur die Frist aus dem Zuwanderungsartikel zu streichen, bringt nichts. Der Vorschlag hingegen, wonach bedeutende völkerrechtliche Verträge bei der Steuerung der Zuwanderung berücksichtigt werden müssen, geht in die richtige Richtung. Es braucht aber eine glasklare Fragestellung, damit es nachher nichts mehr zu deuteln gibt.
SP-Justizministerin Simonetta Sommaruga lässt sich nicht auf die Äste hinaus, was ein Nein zu einem solchen Gegenvorschlag bedeuten würde.
Das ist ein Fehler. Fällt der Gegenvorschlag beim Volk durch, wäre für mich klar: Das Volk nimmt die Kündigung der Bilateralen bewusst in Kauf. Dann würden wir die Masseneinwanderungs-Initiative mit Kontingenten und Höchstzahlen umsetzen müssen.
Warum nicht einfach die von der Auns angekündigte Volksinitiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit abwarten?
Die Initiative stellt die klarste aller Fragen. Nur: Für die SVP war das Vorpreschen der Auns ein Betriebsunfall. Sie wird alles daransetzen, eine klärende Abstimmung vor den Wahlen 2019 zu verhindern, um dieses Thema im Wahlkampf zu reiten. Wir dürfen uns den Zeitplan aber nicht von der SVP diktieren lassen.
Sondern?
Es braucht eine klärende Volksabstimmung vor 2019. Dann gibt es keinen Spielraum für eigennützige Interpretationen mehr, mit denen Emotionen geschürt werden. Mit einem Gegenvorschlag behalten wir die Zügel in der Hand.
Keine Angst vor dem Ergebnis?
Nein. Ich bin überzeugt, dass das Volk den bilateralen Weg bestätigen wird. Sollte ich mich täuschen und sich das Stimmvolk für den Weg Richtung Isolation entscheiden, werden wir diesen gehen. Das Volk ist seines eigenen Glückes Schmied.
Damit steht uns eine ähnlich harte Auseinandersetzung wie bei der Durchsetzungs-Initiative bevor.
Diese Abstimmung wird sogar noch intensiver geführt werden, da bin ich mir sicher. Es geht um die grundsätzliche Weichenstellung, ob wir eine weltoffene oder eine isolationistische Schweiz wollen. Es wird nicht mehr darum gehen, ein Zeichen zu setzen. Dieser Entscheid wird für die nächsten Generationen wegweisend sein.
Eine persönliche Frage zum Schluss: Welche Vorsätze haben Sie für 2017 gefasst?
Dieselben wie 2016: Genügend Zeit in Familie, Fitness und Gesundheit investieren. Ab und zu mal eine Bergtour unternehmen, auf der ich für Parteikollegen und für Journalisten unerreichbar bin. Letztes Jahr ist mir das recht gut gelungen.