Marsch nach links!
Die SP jusofiziert sich

Cédric Wermuth geht mit den europäischen Genossen hart ins Gericht.
Publiziert: 19.03.2018 um 10:14 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 16:04 Uhr
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Cédric Wermuth gibt den Sozialisten in den EU-Ländern schlechte Noten.
Foto: Keystone
Simon Marti

Letzte Woche hiess es Abschied nehmen für Tim Guldimann (67). Der ehemalige Spitzendiplomat beendet seine zweite Karriere als SP-Nationalrat vorzeitig. Sein Nachfolger Fabian Molina (27) stand bis vor zwei Jahren noch an der Spitze der Jungsozialisten. Molina ist vier Jahrzehnte jünger als Guldimann – und meist ein paar Dezibel lauter. Als er am Donnerstag vereidigt wurde, hatte er das «Kommunistische Manifest» im Gepäck.

Eine Wachablösung, die viel über die Richtung der Schweizer Sozialdemokratie aussagt. «Einige sprechen despektierlich von der Jusofizierung der SP», sagt Cédric Wermuth (32), der den Wechsel vom Chef der Jungpartei zum Nationalrat 2011 vollzogen hat. Und der spätestens seit seinen Erfolgen als Co-Präsident der Aargauer SP im vergangenen Jahr als möglicher Nachfolger von Parteichef Christian Levrat (47) gilt. Tatsache sei, so Wermuth, «dass der pointiert linke Kurs und die Einbindung der jungen Generation der Partei eine Reihe von Wahlerfolgen ermöglicht hat, um die uns die Genossen im Ausland beneiden».

Der Vergleich mit dem Ausland ist in der Tat frappant. In einer Reihe europäischer Staaten hat das Wahlvolk die Sozialdemokratie zerlegt. Der Parti Socialiste in Frankreich? Von Emmanuel Macron (40) überrannt. Die deutsche SPD? Einmal mehr degradiert zum Juniorpartner von Kanzlerin Angela Merkel (63). Der Partido Democratico in Italien? Von den Clowns der Fünf-Sterne-Bewegung gedemütigt.

«Es ist noch nicht lange her, da war die Sozialdemokratie die bestimmende Kraft auf dem Kontinent», resümiert Wermuth. «Dass diese Ägide nun vorbei ist, hängt weniger mit dem Zeitgeist zusammen als mit dem Versagen der Sozialisten.» Er sei «nicht überrascht und nicht besonders traurig», dass es den PS in Frankreich zerrissen habe. «Diese Arroganz, diese Volksferne musste dazu führen.»

Wermuth enttäuscht über Schulz

Und auch für den gescheiterten SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz (62), den er vor drei Jahren bei einem Auftritt in Turgi AG erlebte, findet Wermuth wenig freundliche Worte: «Ich dachte, da spricht jemand aus dem Jahr 1960.» Keine Vision für die Zukunft hätte Schulz vermittelt. «Jedem eine Wohnung und ein Auto, das war alles.»

Damit ist aber die Frage, warum die Schweizer Genossen dem Strudel bislang entgangen sind, noch nicht geklärt. Was Wermuth nicht sagt: Gerade in Frankreich und Deutschland erreichten die Sozialisten einst Wahlergebnisse, von denen die Schweizer nicht einmal zu träumen wagen. Ja, die hiesige SP ist erfolgreich. Wenn auch auf ganz anderem, tiefem Niveau.

Noch wichtiger aber ist: Die Schweiz gehört nicht zur EU. Das ist zwar beileibe keine Leistung der europhilen Truppe um Levrat und Co. Dennoch spielt es der Partei in die Karten. «In einem gewissen Sinn profitiert die SP davon, dass die Schweiz kein Mitglied der EU ist», räumt Wermuth ein. Sie hafte damit nicht, wie andere Sozialdemokratien, für die «europäische Krise». Und: «Die europäische Linke wird nicht zu Unrecht mitverantwortlich gemacht für die Defizite der EU. Und solange es nicht gelingt, die Union auch sozial gerecht auszugestalten, wird sich das auch kaum ändern.»

SP legt auch bei Abstimmungen zu

Mit Ausnahme der Niederlage bei der Altersreform 2020 kann sich die Bilanz der SP in dieser Legislatur auch bei Sachabstimmungen sehen lassen. Rückt sich die SP als Kämpferin für soziale Gerechtigkeit ins Bild, scheint ihre Rechnung aufzugehen.

Ob sich dies auch in einem Zuwachs bei den Wahlen 2019 ummünzen lässt, steht auf einem anderen Blatt. Die Stossrichtung für den Wahlkampf scheint schon heute klar: eine direkte Konfrontation mit rechts, mit der SVP. Eine Fortsetzung des «Abwehrkampfes» gegen den sozialen Abbau, wie Wermuth es pathetisch formuliert: «Wir müssen sagen, wie es ist, wir sind die einzige verbleibende Alternative zu einer SVP-Schweiz.»

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